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Anne Boleyn, die zweite Frau Heinrich VIII, ist fast jedem ein Begriff. Doch wer kennt schon die jüngere Schwester Mary Boleyn, die ebenfalls am englischen Hof eine wichtige Rolle spielte? Philippa Gregory hat dieser Schattenfigur der Boleyns nun einen ganzen Roman gewidmet, in der ihre Geschichte gezeigt wird und anhand dieser auch Aufstieg und Fall einer der bedeutendsten Familien der Tudor-Zeit deutlich gemacht.
Mary ist zu Beginn des Romans dreizehn und bereits verheiratet. Mit ihrem Mann, William Carey, hat sie nicht allzu viel zu tun, da sie die Lieblingshofdame Katherines ist, der Königin. Als Anne, ihre eine Jahr ältere Schwester, vom französischen Hof zurückkehrt, fürchtet sie um ihre Stellung. Doch sie hat sich umsonst Sorgen gemacht: Anne ist mit ihrer französischen Extravaganz eine Außenseiterin bei Hof. Bald jedoch verliert Mary die Gunst der Königin durch ein unvorhergesehenes Ereignis: Der König selbst äußert Interesse an Mary und macht ihr den Hof. Dies wird von ihrer Familie begeistert aufgenommen, sehen sie doch so die Möglichkeit, höher in der Gunst Henrys aufzusteigen. Mary muss aus den gemeinsamen Gemächern ausziehen und wird dem König als Mätresse zugeführt. Schließlich weiß jeder, dass Henry dringend einen Thronfolger braucht, falls Mary schwanger werden sollte, soll also sicher gestellt sein, dass es wirklich das Kind des Königs wäre und nicht das ihres Ehemanns. Mary fühlt sich als Spielball der Männer, auf ihre Gefühle nimmt keiner Rücksicht, und doch verliebt sie sich in den König und ist lange Jahre lang seine Mätresse. Doch während ihrer zweiten Schwangerschaft - das erste Kind war ein "wertloses" Mädchen - beginnt der Aufstieg Annes. Die Schwester, die immer schon Konkurrentin war, soll sicherstellen, dass Henry sich keine Mätresse aus einer anderen Familie sucht. Doch sie tut mehr als dies. Mit Verweis auf ihre Tugend weigert sie sich, Henrys Bett zu teilen, sie strebt nach mehr: nach der Krone, egal, wen sie auf ihrem Weg vernichten muss und was für Opfer gebracht werden müssen
Auch die Geburt von Marys und Henrys Sohn George kann Annes Einfluss nicht mehr mindern.
Doch mit der Verbannung Königin Katherines und der Krönung Annes als Königin ist noch lange nicht alles vorbei. Mary steht nun wieder im Schatten ihrer Schwester, dem Ort, dem sie hoffte, entflohen zu sein, und muss machtlos mit ansehen, wie die Machtgier ihrer Schwester den Hof zu einem unwirtlichen Ort macht. Aufbegehren darf sie nicht, da ihr sonst ihre geliebten Kinder, die Bastarde König Henrys, entzogen werden könnten. Erst, als sie sich verliebt - und dies ganz und gar nicht standesgemäß - beginnt sie sich zu wehren und um ihre Familie und ihr Recht zu kämpfen.
Das Buch zeigt deutlich, wie verlogen der Hof zu diesen Zeiten war. Einerseits sollten Frauen keusch und zurückhaltend sein, dann wieder wurde von ihnen erwartet, sich den Männern unterzuordnen und das Bett zu teilen mit wem immer ihr Vater oder Onkel es befahl. Mary selbst stellt sich die Frage, wo der Unterschied darin liegt, die Mätresse des Königs zu sein oder seine Hure.
Die absolute Macht des Königs, aber auch der Druck, unter dem er steht, wird gut gezeigt. Er muss zur Sicherung des Königreichs einen legitimen Sohn zeugen, koste es, was es wolle. Wie weit Frauen gehen, um an Macht zu gewinnen, wird durch die Gier Annes sehr deutlich gemacht. Mary und ihr Bruder George müssen sie dabei unterstützen, doch vor allem Mary hat manchmal Skrupel dabei, die Aufträge auszuführen.
Das Buch weist leider einige Längen auf, wo man als Leser jeden Moment den Schluss erwartet, doch dann kommt die Handlung doch wieder in Fahrt und nach ein paar Seiten ist man wieder in der atemlosen Spannung der Intrigen und Ränkespiele gefangen.
Besonders faszinierend ist die Lektüre, wenn man bedenkt, dass die Daten historisch verbürgt sind und auch die Person der Mary Boleyn so lebte. Das Buch endet kurz nach Annes Hinrichtung, doch wie Mary weiterlebte wird in einer Anmerkung der Autorin kurz anhand von Daten erläutert.
Das Buch ist in Kapitel unterteilt, die normal nach den Jahreszeiten der einzelnen Jahre gegliedert sind. Dies erleichtert die Lesbarkeit ungemeint, weiß man doch immer, in was für einem Jahr man sich befindet und welche großen geschichtlichen Ereignisse anstehen. Besonders für diejenigen, die sich noch an die Jahreszahlen aus dem Geschichtsunterricht erinnern können, ist dies interessant, da die Geschehnisse hier aus der persönlichen Sicht einer Beteiligten geschildert werden. Vor allem die Gründe für Annes Hinrichtung werden differenziert beleuchtet. Das Gericht brauchte einen Grund, um Anne zu verurteilen, doch hier wird aus den Augen einer Schwester beobachtet, dass die Beschuldigung vielleicht doch nicht so an den Haaren herbeigezogen war, wie es aus heutiger Sicht erscheinen mag.
Die Figuren sind liebevoll dargestellt, die Hauptbeteiligten Mary, Anne und George Boleyn, sowie König Henry lernt man als Leser schon nach kurzer Zeit richtiggehend kennen. Die übrigen Höflinge und Hofdamen bleiben farbloser, da sie für den Verlauf der Geschichte unwichtiger sind. Doch dadurch können die vielen Namen, die immer wieder auftauchen, auch verwirren, wenn man sich nicht gut merken kann wer wer ist.
Das Titelbild zeigt eine Frau in der typischen Hoftracht der Zeit und stimmt den Leser so schon auf das kommende ein. Das Einzige, was an der Aufmachung zu bemängeln ist, ist, dass es sich um ein Taschenbuch handelt. Natürlich ist diese Ausgabe auch um einiges billiger als die Hardcover-Ausgabe, aber gerade bei so dicken Büchern verbessert sich die Haltbarkeit durch Hardcover. Mit einem solchen Taschenbuch muss man dann schon sehr pfleglich umgehen, damit keine Knicke entstehen. Sammler, die auf perfektes Aussehen ihrer Bücher Wert legen, sollten dann schon die 24,90 investieren und die Hardcover-Ausgabe erstehen.
Fazit:
Der Roman ist für Fans der Tudor-Zeit fast unverzichtbar, da er die Hintergründe der Boleyn-Schwestern in vollem Umfang und ungeschönt zeigt. Keine der beiden war unschuldig, doch wird hier beleuchtet, wie sie von ihrer Familie zu Taten gezwungen wurden, die zumindest Mary nicht ohne Skrupel ausführen wollte und konnte.