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Gilgamesh ist König von Uruk. Seiner Machtgier und seiner Entschlossenheit, sich einen Namen für die Ewigkeit zu machen, sind keine Grenzen gesetzt. Er regiert gnadenlos und seine Stärke erschreckt die Menschen mehr, als dass sie sie freut. Ihr König, zu zwei Dritteln ein Gott, ist ihnen unheimlich.
Auch den Göttern, die bereits einmal alle Menschen durch eine Sintflut vernichteten, weil sie ihnen zu laut und zu zahlreich geworden waren, wird das Handeln Gilgameshs zu eigensinnig. Der Gott Enki erschafft aus Lehm Enkidu, ein Wesen halb Mensch halb Tier, das es mit Gilgamesh aufnehmen kann. Doch Enkidu verfällt erst einer Hure, die ihm der König von Uruk sendet, dann erkennt er in Gilgamesh einen ihm ebenbürtigen Mann und wird sein treuster Gefährte.
Enkidu und Gilgamesh beschließen eine unsterbliche Tat zu begehen. Sie ziehen mit fünfzig Mann zu den Hängen des Libanon, um den Wächter der Zedernwälder, einen Dämon in Menschengestalt, zu töten. Vier Träume Gilgameshs lassen den mächtigen König von Uruk an ihrem Vorhaben zweifeln, doch Enkidu treibt ihn weiter.
Den unvergleichlichen Kämpfern gelingt die furchtbare Tat und sie ziehen mit dem Kopf des Dämons als Beute in Uruk ein.
Doch die Götter sind wütend. Ishtar, Tochter des Anu, verlangt von ihrem Vater den Himmelsstier. Der soll die Menschen Uruks zertrampeln und alles von Menschenhand errichtete vernichten. Obwohl Anu nicht wieder die Menschen ausrotten will, stimmt er dem Flehen der von Gilgamesh Verschmähten zu und gibt ihr den Stier. Doch wieder geschieht, was nicht geschehen darf: Gilgamesh tötet mit Hilfe von Enkidu den Stier. Zum zweiten Mal haben die beiden den Göttern getrotzt. Zur Strafe fordern viele der 600 Götter ihren Tod. Doch das Urteil, das schließlich gefällt wird, trifft Enkidu. Er ist des Todes. Niemand vermag ihn mehr zu retten, auch Enki ist machtlos.
Gilgamesh stemmt sich verzweifelt gegen dieses Schicksal. Seine Liebe, sein Vertrauen und seine Freundschaft gelten nur einem Menschen auf Erden und das ist Enkidu. Nachdem der Leichnam des Freundes bereits von Maden heimgesucht wird und der Gestank unerträglich wird, macht sich Gilgamesh auf, den einzigen Menschen zu suchen, der Unsterblichkeit erlangte.
Gilgamesh, vor über 5000 Jahren schriftlich fixiertes Epos aus dem Zweistromland des Eufrat und Tigris, ist eines der ältesten überlieferten Werke der Weltliteratur. Es wurde auf elf Tontafeln eingraviert und ist leider nur fragmentarisch erhalten. Bereits vor 4000 Jahren gehörte es zum Kanon der Geschichten und Erzählungen und wurde mehrfach in andere Sprachen übersetzt und in abgewandelter Form neu geschrieben. Eine zusammenhängende Darstellung der Fragmente erfolgte bereits 1200 v. Chr. als "ninivitische Fassung". Von dieser Fassung ausgehend, versuchte Raoul Schrott eine Neuübersetzung. Nach Albert Schott in den 40er Jahren, dem Übersetzungsversuch Schmökels von 1966 und der Überarbeitung von Sodens ist dies der vierte Versuch, diesen Epos ins Deutsche zu übertragen und in eine zusammenhängende und verständliche Form zu bringen. Das Werk nun dient Klaus Buhlert als Vorlage zu seiner Hörspielfassung. Auf "nur" 195 Minuten versucht er, den Mythos zu einer Geschichte, zu einer verständlichen Erzählung zu machen.
Dies gelingt ihm nur teilweise. Einige Gesichtspunkte gilt es bei dieser Bewertung jedoch zu beachten.
Erstens ist der Einsatz diverser Sprecher problematisch. Die Vielzahl der Stimmen, oft durcheinander sprechend, manchmal im Chor singend, im Hintergrund murmelnd oder schreiend, verwirren immer wieder. Ob Erzähler, oder Gilgamesh, Gott oder Mensch spricht, ist nicht immer direkt zu erschließen. Eine Ausnahme macht die Stimme von Enkidu. Sie ist so unverhohlen bayrisch, so krass abgesetzt von allen anderen Stimmen, dass sie sofort herauszuhören ist. Aber auch völlig unpassend. Der furchtbare Kämpfer, teils Tier, teils Mensch, ist als Bayer fast eine Karikatur. Insgesamt aber sind die Stimmen brillant ausgewählt und die Verve und das enorme Engagement sind jederzeit spürbar.
Zweitens ist die Inszenierung zu komplex, um verständlich zu bleiben. Immer wieder sind Versatzstücke eingebaut, die erst im Nachhinein verständlich sind. Mit dem Ende zu beginnen und in einer Art Rückschau zu erzählen, wie es dazu kam, mag eine dramaturgisch sinnvolle Verfahrensweise sein, sie verkompliziert die Geschichte aber sehr. Zudem sind immer wieder Brüche spürbar, die nur schwach mit Überleitungen aneinandergefügt wurden. Dies ist für ein Hörbuch sehr ungünstig und führt zu Phasen der Verwirrung.
Drittens ist die Musik gewöhnungsbedürftig. Ihr Wert als Kontrapunkt, ihr Betonen der "übermenschlichen Wertigkeit" der Geschichte, ihr Akzentuieren von dramatischen Szenen erschließt sich erst nach längerem Zuhören. Doch spätestens noch zwei Dritteln der Geschichte erscheint sie dem Hörer unverzichtbar. Sie wird zu einer Art Puls, der diesen Epos nicht nur begleitet, sondern ihm zugrunde liegt.
Viertens ist es offensichtlich die Auffassung der Regie und des Autors, dass die Geschichte ohne schriftlichen Hintergrund, ohne zusätzliche Information, nicht erschließbar ist. So sehr sich die "Macher" dieses Hörspiels auch abmühen, eine weitergehende Auseinandersetzung mit diesem Epos ist notwendig. Dies leistet in brillanter Art und Weise das 60-seitige Booklet, das den drei CDs beigelegt ist. Erschöpfend und spannend wird hier beschrieben, was nicht in einem Hörspiel vermittelbar ist. Die Auswirkungen dieses Epos auf Homer, auf die Bibel und auf "Geschichten aus eintausend und einer Nacht" werden eloquent und versiert erläutert. Ohne das Booklet ist dieses Hörspiel nicht denkbar.
Fünftens handelt es sich um einen fragmentarischen Epos, der 5000 Jahre alt ist. Er ist es wert erhalten und in der heutigen Zeit erlebbar gemacht zu werden. Aber er bleibt fragmentarisch, und wenn man ihn nicht völlig der Vorlage entfremden oder ihn umdichten will, bleiben Brüche, Lücken und unverständliche Handlungssprünge erhalten. Dies gilt es bei einer umfassenden Bewertung zu beachten: Der Anspruch von Autor und Regie ist es eben nicht, ein rundes, glattes, modernes Hörspiel abzuliefern, sondern ein möglichst ursprüngliches Epos so wenig wie irgend möglich zu verfremden und zu erweitern, damit es verstanden werden kann.
In diesem Sinne ist es ein Hörspiel, das mit hohem Anspruch an den Hörer und Leser herantritt. Bis auf kleinere Schwächen ist es diesem Anspruch gerecht geworden.
Fazit:
Gilgamesh ist sperrig, verlangt hohe Konzentration und einen Hörer, der bereit ist, die beigefügten schriftlichen Informationen zu nutzen. Dann aber ist es ein einmaliges Erlebnis. Man wohnt einem Vortrag von Göttern und Menschen bei, fast so, als wäre man Zeuge dieser Ereignisse geworden.