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Diego Alatriste y Tenorio lebt zu Beginn der dreißigjährigen Regentschaft Philipp IV. in Madrid. Er schlägt sich mehr schlecht als recht mit Hilfe seiner unnachahmlichen Fechtkunst durch. Wie so viele Soldaten des zwar noch mächtigen Spaniens hat er treu seinen Dienst für den König erfüllt und ist nun, zur Zeit des zwölfjährigen Waffenstillstands mit den Niederlanden, ohne Sold und ohne Hoffnung auf bessere Zeiten. Er nimmt gelegentlich Aufträge an, die weniger versierte Degenkämpfer nicht zu erfüllen wagen, und duelliert sich im Auftrag von Edelmännern, gehörnten Ehemännern und hochgestellten Persönlichkeiten, die einen unliebsamen Widersacher auf dem kürzesten Weg loswerden wollen. Er ist schweigsam, mit einigen wenigen Männern gut befreundet, ansonsten aber ein Einzelgänger, der sich um niemanden schert oder niemandes Feind ist.
Einer seiner alten Freunde ist Hauptmann Martín Saldana. Als der eines Tages vor der Schänke steht, die Alatriste und seine Freunde regelmäßig aufsuchen, hat er einen geheimnisvollen Auftrag für Diego. Eine gute Börse springe heraus und große Geheimhaltung sei erforderlich. Mehr kann Alatriste nicht herausbringen. Doch die Börse kommt ihm gerade recht und so geht er zum vereinbarten Treffpunkt. Zwei Maskierte empfangen ihn und einen unbekannten Degenkämpfer. Die beiden Männer sollen zwei Ketzer töten. Ort und Zeit des Aufeinandertreffens werden genauestens festgelegt, doch der eine Maskierte besteht darauf, dass der Ältere der beiden Engländer nur leicht zu verwunden sei, der Jüngere jedoch keinesfalls auch nur den kleinsten Kratzer abkriegen dürfe. Nur sämtliche Papiere seien den beiden abzunehmen und an einem geheimen Treffpunkt zu übergeben. Alatriste wundert sich über die hohe Börse für so einen einfachen Auftrag. Doch kaum ist der erste Maskierte aus dem Raum, kommt ein hagerer, düster dreinschauender Mönch hinter einem Vorhang hervor. Er gibt sich als Pater Emilio Bocanera, Vorsitzender des heiligen Inquisitionstribunals zu erkennen. Alatriste und seinem unbekannten Partner gefriert fast das Blut in den Adern. Dieser Mann ist ihnen dem Namen nach wohlbekannt. Er ist der grausamste und mächtigste Vertreter der Inquisition von Papst Gregor XV. in ganz Spanien, ja der gesamten Christenwelt. Sein Auftrag lautet unmissverständlich, dass beide Engländer zu töten seien. Keiner der Degenkämpfer wagt zu widersprechen, die Drohung des Dominikanermönchs ist eindeutig: Wer diesen Auftrag ablehnt oder nicht durchführt wie gewünscht, wird den Folterknechten dieses Mannes überantwortet.
Hauptmann Alatriste ist der erste Band einer Trilogie, die 1996, 1997 und 1998 in Spanien erschienen ist. Arturo Pérez-Reverte macht aus seiner Bewunderung für Alexandre Dumas und seine Roman-Trilogie über die drei Musketiere keinen Hehl. Sein Held, Diego Alatriste, ist jedoch kein einfacher Draufgänger wie Portos, Aramis, Artos oder DÂ’Artagnan. Er ist ungleich vielschichtiger und komplexer. Pérez-Reverte lässt im Schatten des schweigsamen Soldaten eine längst vergangene Zeit wieder auferstehen. Das goldene Zeitalter Spaniens, die dreißigjährige Herrschaft Philipps des IV., versehen mit Spott und Sarkasmus, Ironie und leisem Humor. Das Sittengemälde einer Zeit entsteht durch die Kunstfertigkeit des Autors vor dem inneren Auge des Lesers. Einer Zeit, die er als Anfang vom Ende der Weltmacht Spaniens schildert. Gerade durch den Prunk Philipps, seine rauschenden Feste und seine unzähligen Händel mit den Niederlanden, England, Frankreich und vor allem die Korruption und den unvermeidlichen Niedergang im Inneren Spaniens, exemplarisch zu beobachten an den Vorgängen im Madrid des 16. Jahrhunderts.
Unzählige Informationen, Gedichte, Randbemerkungen füllen den Roman an, der kaum 200 Seiten lang ein eigentlich sehr schlichtes Abenteuer erzählt. Immer wieder fühlt sich der Leser entführt in die Zeit der Edelleute, Intrigen und Duelle, der großen Zeit Madrids, damals kaum 70.000 Einwohner zählend und doch Zentrum der Welt. Nahtlos erzählt Pérez-Reverte von der Geschichte seines Spaniens, voller Stolz und Trauer, großmütig und melancholisch. Äußerst geschickt erzählt er die Geschichte aus der Sicht eines alten Mannes. Damals noch ein Knabe, der während der Ereignisse rund um die beiden englischen Edelleute kaum zwölf Jahre alt war. Diese altersweise Sicht, scheinbar mehr als fünf Jahrzehnte später niedergeschrieben, erhebt die Geschichte Alatristes zu einer vergangenen Epoche, zu einem wahrhaftigen und wahrheitsgetreu nacherzählten Tatsachenbericht.
Dank des komplexen Aufbaus der einzelnen Elemente, der virtuosen Sprache Revertes und seiner geschichtlich korrekten Verortung, liest sich das kleine Abenteuer wie ein historischer Roman dieser vergangenen Zeit. Das schlichte Degenabenteuer wird so zu einem spannenden und höchst interessanten Bericht aus der Historie Spaniens - längst vergangen, aber niemals vergessen, gründet sich doch der Stolz dieser Nation auf diese Epoche.
Fazit: Der erste Roman dieser Trilogie rund um Hauptmann Alatriste ist ein schlichter einfacher Abenteuerroman, gespickt mit einer Fülle historischer Details und Anekdoten, Informationen zur goldenen Epoche Spaniens unter Philipp dem IV. und vielen zeitgenössischen Gedichten und Versen, dass dieses Buch manchmal wie ein historischer Roman oder Bericht eines Zeitgenossen wirkt. Dank dieser Details und der unglaublich eloquenten Art der Darstellung dieser Elemente ist dieser Roman ein lesenswertes Stück spanischer Geschichte, spannend und informativ zugleich.
Anmerkung: in Deutschland ist "El capitán Alatriste" gemeinsam mit den Teilen zwei und drei der Trilogie in dem Band "Alatriste" erschienen.