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 Soziale Systeme

Grundriss einer allgemeinen Theorie


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Preis - Leistungs - Verhältnis


Es ist schwierig, etwas zu einem Buch zu sagen, das eine sehr neue Theorie vorstellt. Noch schwieriger aber scheint es, etwas zu solch einem Buch zu sagen, wenn es längst zum Klassiker geworden ist. "Soziale Systeme" ist ein solcher Klassiker. Niklas Luhmann, seines Zeichens Soziologe, legt hier sehr umfangreich eine Theorie der gesellschaftlichen Teilsysteme vor. Sie bildet die Grundlage für weitere Werke, die er später publiziert.
Luhmann beklagt zu Beginn des Buches, dass der Soziologie der Mut zu einem großen, einheitlichen Gedankengebäude fehle. Er selbst will ein solches entwerfen und zur Diskussion stellen.
Im ersten, enorm wichtigen Kapitel "System und Funktion" fasst Luhmann zentrale Operationsweisen und Phänomene dynamischer Systeme zusammen. Dies ist zwar noch nicht der revolutionäre Gedankengang, bildet aber die Grundlage für das weitere Verständnis des Buches.
Im zweiten Kapitel wird das Phänomen des Sinns erläutert. Dabei geht Luhmann davon aus, dass soziale und psychische Systeme sinnverarbeitende Systeme sind. Sinn, so fasst Luhmann dies, sei die Einheit einer Differenz: Ein bestimmter Sinn ist nicht nur ein bestimmter Sinn, sondern gerade dadurch bestimmt, dass er Unbestimmtes ausschließt. Diese Operation des Ausschließens hört sich zunächst sehr banal an, muss aber im Gesamtzusammenhang als ein immer wiederkehrendes Ereignis gesehen werden, das so trivial nicht ist.
Im dritten und vierten Kapitel geht der Autor von der gemeinsamen Behandlung von sozialen und psychischen Systemen zu den spezifisch sozialen Phänomenen über. Im Gegensatz zu den geläufigen Ansätzen der Soziologie, die es zum Erscheinungsdatum dieses Buches gab, konstituieren sich Gesellschaften nicht durch Handlungen, sondern durch Kommunikation. Kommunikation sei die Einheit der Differenz von Information und Mitteilung, und die punkthafte Entscheidung für die eine oder die andere Seite dieser Differenz. Information, so könnte man alltagssprachlich sagen, teilt etwas ’über die Welt mit’, Mitteilung teilt etwas ’über das kommunizierende System mit’.
Anhand dieses reichen und zunächst nur schwer zu durchschauenden Begriffsapparates gelingt es Luhmann in den folgenden Kapiteln, zentrale Aspekte der Gesellschaft wie das Problem der Individualität, Konflikte, Interaktion im gesellschaftlichen Kontext oder Rationalität überraschend neu zu beleuchten.
Zentral für das Werk Niklas Luhmanns aber bleibt der Begriff der Autopoiesis. Luhmann übernimmt diesen aus der Biologie, und wendet ihn auf soziale Systeme neu an. Mit der Autopoiesis wird der Gedanke sich selbst entwickelnder, evolutionärer Systeme auch für die Gesellschaft behauptet und fruchtbar gemacht. Statt einen übergreifenden gesellschaftlichen Zusammenhang zu postulieren, kann Luhmann dadurch die je unterschiedliche Verwendung von Kommunikation in Teilsystemen wie der Wissenschaft, der Kunst, der Politik deutlich machen und Phänomene wie die "soziale Gestalt" von Menschen von deren biologischer Existenz entkoppeln.
Man kann nicht sagen, dass Niklas Luhmann ein einfacher Autor ist. Dabei schreibt er zwar sehr präzise und schlicht, doch sind seine Gedankengänge auch heute noch so neu, dass man als Einsteiger viel Zeit mitbringen sollte, um ihn zu lesen. Dem Erstleser sei zudem empfohlen, sich nicht von der Fülle an Betrachtungen erschlagen zu lassen, nicht alles zu verstehen und nicht zu verzweifeln. Entgegen den immer noch vielen Anfeindungen, die dieses Werk erleben muss, ist es großartig, fast möchte ich sagen: wild. Und wer sich über die ersten Verständnishürden hinweg gearbeitet hat, wird feststellen, dass es zu sehr reichen und kreativen Gedankengängen einlädt. Mehr kann man von einer Theorie nicht erwarten.

Frederik Weitz



Taschenbuch | Erschienen: 01. Januar 2006 | ISBN: 3518282662 | Preis: 18 Euro | 674 Seiten | Sprache: Deutsch

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