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"Warum hast du es vermurkst?" fragt der Erzähler des Buches "Das kurze Leben des Stuart Shorter" den gleichnamigen Obdachlosen, dessen Leben er beschreibt und der trotz ihm vom Staat zugewiesener Wohnung mal wieder auf der Straße gelandet ist. "Ich weiß nicht, Alexander, manchmal wirds so schlimm, dass einem nichts Besseres einfällt, als noch einen draufzusetzen", lautet die traurige Antwort.
Sprachlos machen den Leser auch andere Antworten des unverbesserlichen und desillusionierten Obdachlosen, wenn er in Dialogen immer wieder versucht, dem fiktiven Schriftsteller Alexander seinen Weg vom normalen bürgerlichen Leben auf die brutale Straße zu erklären. "Ich war wirklich überrascht, als ich dich getroffen habe, Alexander. Ich dachte immer, mit Leuten aus der Mittelschicht ist irgendwas nicht in Ordnung. Aber die sind ganz normal. Das hat mich echt geschockt." Der dreißigjährige Stuart Shorter selbst ist kein Sympathieträger, sondern "ein gewalttätiges, furchteinflößendes Wrack", ein Junkie, Krimineller und Psychopath, der laut Erzähler keine soziale Unterstützung, sondern ein neues Gehirn braucht.
Originell ist die Erzählweise, die Alexander Masters in seinem Sozial-Roman wählt. Die Geschichte des Clochards wird von hinten erzählt - angeblich eine Idee Stuarts. Der Autor arbeitet sich aus der Gegenwart immer weiter zurück zu dem Punkt, an dem der Obdachlose die Pfade des geregelten Lebens verließ und sich in eine drogen- und alkoholsüchtige Dr. Jekyll-und-Mr. Hyde-Persönlichkeit verwandelt hat.
Mit Witz und Mitgefühl begibt sich Masters auf die Spuren von Postüberfällen, Gefängniskrawallen und Drogenexzessen bis zurück zu den Tagen unbeschwerter, glücklicher Jugend. "Das kurze Leben des Stuart Shorter" ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Schriftsteller und einem chaotischen Obdachlosen.
Alexander Masters ist ein ungewöhnliches Buch gelungen, eine Biographie, die die Besonderheit eines Lebens erzählt und einen Einblick in Verhältnisse gewährt, die für immer mehr Menschen Realität sind und für alle diejenigen, die sich nicht in einer solchen Situation befinden, unbegreiflich bleiben und nicht selten mit Verachtung betrachtet werden.
Ohne rührselig zu werden gibt Master durch seine Romanfigur Antworten darauf, wie ein Mensch zum Penner wird: "Der Übergang ist eine Desillusionierung auf Raten." Anfangs tändele der Obdachlose nur. Es mache ihm beinahe Spaß, im Freien zu schlafen. Er spiele eine Rolle, ohne daran zu glauben, "bis er sich eines Tages umseht und feststellt, dass alle seine Freunde Penner sind: Das Mädchen, das ihm gefällt, ist Pennerin, die abendlichen Unternehmungen, auf die er sich freut, sind Pennersachen, wie etwa, sich hinter der Mount-Zion-Baptistenkirche mit Tennants Super zu besaufen. Sein ganzer Kreis besteht aus Pennern, und jetzt, da die ironische Distanz verschwunden ist, gehört er endgültig zu ihnen."
Master erzählt in Buches "Das kurze Leben des Stuart Shorter" eine Geschichte über Demütigung, Ausgrenzung, Missbrauch, Krankheiten, Chaos und Wahnsinn und bietet durch die reflektierten Gedanken der Protagonisten und den Einsatz von dokumentarischem Material über Drogenkonsum, Strafvollzug und Obdachlosigkeit ein Denkmal für all die Menschen, die aus welchen Gründen auch immer am Rande unserer Gesellschaft ohne festen Wohnsitz leben.