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Der Maulwurf macht Frühjahrsputz. Doch irgendwie macht ihm die mühsame Arbeit heute keinen Spaß. Er beschließt kurzerhand seine kleine gemütliche Höhle zu verlassen und ans Sonnenlicht zu gehen. Eine unerklärliche Sehnsucht erfüllt den Maulwurf. Nach Licht, Grün und Ferne. Er wandert aufs Geradewohl in Richtung Sonnenaufgang. Er lauscht den Vögeln, dem sanften Rascheln der Blätter im Wind und den vielfältigen Geräuschen, die es auf einer morgenfeuchten Wiese, in einem lichten Wäldchen und zwischen den Ackerfurchen so zu hören gibt.
Er verharrt erst voller Staunen, als er vor einem silbrig scheinenden, murmelnden und in die Ferne gleitenden Etwas stehen bleiben muss, weil es den Weg von seiner Rechten bis zu seiner Linken quert. Eine Wasserratte erscheint auf der gegenüberliegenden Seite dieses traumhaft schönen flüssigen Teppichs, besteigt ein Boot und überquert das Etwas mit spielerischer Leichtigkeit, die den Maulwurf mit Neid erfüllen würde, wenn sein Gemüt zu einem solchen Gefühl fähig wäre. Voller Freundlichkeit begrüßt ihn die Wasserratte und lädt ihn zu einer Bootsfahrt über den Fluss ein. Ihn, den kleinen Maulwurf, zu einer Bootsfahrt über diesen wundervollen, glänzenden und unendlich alt und weise dahingleitenden Fluss! Es wird ein herrlicher Tag für die beiden. Am Abend sind sie unzertrennliche Freunde und beschließen, ohne es in Worte zu fassen, zusammen in der Wohnung der Wasserratte zu leben.
Der Maulwurf ahnt noch nicht, wie interessant und spannend, manchmal sogar gefährlich das Leben in der lichten Freiheit der Oberwelt sein kann. Er genießt einstweilen sein neues Leben in vollen Zügen und weiß vor lauter Behaglichkeit nicht, wie er sein Glück in Worte fassen kann.
Er lernt den Kröterich und sogar den Fremden gegenüber so abweisenden Dachs, der im wilden Wald lebt, kennen und ahnt, dass er dieses Leben nicht mehr missen will. Ein Leben in Freiheit und mit Freunden, ein Leben, so sorglos, abwechslungsreich und geheimnisvoll wie der Fluss.
Kenneth Grahame schrieb "Der Wind in den Weiden" 1908 - in einem Jahrhundert voller Veränderungen und einem drastischen Wandel der Werte und Haltungen. Doch dieses Stück Literatur scheint diese Zeit ohne Einbußen überstanden zu haben. Immer noch wird dieses Buch in Kinderhände gelegt, immer noch erfreuen sich Erwachsene an dem wundervollen Stil des Autors. Die wie gemalten Sätze, die lebendigen Beschreibungen, die fast mystisch wirkenden Szenarien und Begebenheiten, die einfachen Charaktere der Tiere, die so abwechslungsreiche wie einfache Geschichte einer Freundschaft zwischen vier so unterschiedlichen Lebewesen begeistert Jung und Alt gleichermaßen.
Und der Übersetzung von Harry Rowohlt ist es zu verdanken, dass dieser Stil auch heute noch modern und lebendig wirkt. Er übersetzt weniger als dass er, Sinn und Wert erkennend, die Eigentümlichkeiten des Textes und der Geschichte an die deutsche Sprache überträgt, sie der heutigen Jugend und dem Erfahrungshorizont eines modernen Menschen anpasst.
Darüber hinaus versucht Harry Rowohlt diese Geschichte in das zu verwandeln, wofür sie ursprünglich gedacht war und dem sie ihre Entstehung verdankt: Er transformiert sie in einen Vortrag, in ein Märchen, das vorgelesen wird, in eine dramatische mündliche, in jedem Augenblick gerade ersonnene Geschichte. Es gelingt Rowohlt mit seiner sonoren, manchmal herben, immer aber tiefen und beeindruckend akzentuierten Stimme im Zuhörer das Gefühl zu erzeugen, als würde er zeitgleich mit seinem Vortrag die nächsten Minuten, ja Sekunden der Geschichte gerade erfinden, in diesem Moment erst wirklich werden lassen.
Dies funktioniert perfekt. Er setzt Pausen, Betonungen und eine verzögerte Sprechweise, gedankenvolles Schweigen und hastige, stockende Wortfetzen hinwerfende Momente ein, um diesen Eindruck zu erzeugen und vertieft ihn durch wechselnde Stimmlagen, veränderte Sprachmelodie, gänzlich veränderte Tonlage und einen absolut beeindruckenden fließenden Fortgang der Sätze.
Das Gefühl einem Erzähler zu lauschen, der nicht vorträgt, nicht abliest, sondern erfindet und kreiert ist so stark, dass man - egal wie alt - sich hineinversetzt fühlt in eine fast traumhafte Szene des zum allabendlichen Repertoire gehörenden Märchens.
Inhaltlich ist die Geschichte von Grahame oft kritisiert, ebenso oft hymnisch bejubelt worden. Sie ist zweifellos einmalig. Der in einer Fabel oder Tiergeschichte oft betriebene Etikettenschwindel ist hier nicht zu bemerken. Nicht Menschen erleben hier ein Abenteuer, denen man das Etikett "Maulwurf", "Kröte", "Dachs" oder "Wasserratte" angeheftet hat. Aber auch keine Tier sind beschrieben, die in ihrer Umwelt leben und agieren. Hier hat Grahame etwas eigenes geschaffen. Wesen, die Charakter haben, ein "Ich-Gefühl", ein Bewusstsein und eigene Ansichten über den Sinn des Lebens. Es sind weder Tiere noch Menschen, sondern vier gänzlich unterschiedliche Individuen mit all ihren Schwächen und Stärken. Der Zuhörer sieht in ihnen weder Menschen noch Tiere, sondern nur Maulwurf, Wasserratte, Kröte und Dachs, vier Freunde eben.
Kritik muss man an der Edition dennoch üben. Etwas ein Drittel des Textes fiel der Schere zum Opfer. Dies ist bedauerlich, denn Atmosphäre und Tiefe der Charaktere leiden spürbar darunter. Doch die anvisierte Altersgruppe von sechs bis zwölf macht einige Kürzungen erforderlich. Viele Beschreibungen sind vor allem für Sechsjährige zu komplex, zu psychologisierend und vor allem zu lang, um ihre Konzentrationsfähigkeit nicht über Gebühr zu belasten. Die Kritik ist folglich eine rein akademische, denn die Kürzungen machen in einer Produktion für kleinere Kinder Sinn. Wer die ganze Geschichte hören will, muss zur sechs CDs umfassenden kompletten Hörbuchfassung, die es bei "Kein & Aber" gibt, greifen. Allerdings sollte man beachten, dass man den vierfachen Preis hierfür bezahlen muss.
Fazit: Dieses Hörbuch ist unglaublich günstig und dank Harry Rowohlt ein grandioses Stück vertonte Literatur geworden. Ohne Fehl und Tadel, eingedenk der notwendig gewordenen Kürzungen, verdient sie höchstes Lob und möglichst große Verbreitung.