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Eine Handvoll Abenteurer bricht alle Brücken hinter sich ab und begibt sich auf eine gefahrvolle Reise, um einem Mann zu folgen, der eine Legende sucht: den Eisernen Rat. Ihre Suche führt sie durch den Irrwitz eines gnadenlos geführten Krieges, vorbei an den Stationen bestialischer Aggression, bis sie ihn endlich am Rande eines Niemandslandes aus Stein und Staub finden, am Ende seiner und ihrer Kraft.
In der Hauptstadt New Crobuzon, einer von den Auszehrungen des Krieges gezeichneten Metropole, kämpfen unterdessen rivalisierende Gruppen von Insurrektionisten für eine Veränderung der Gesellschaft, für ein Ende des verlustreichen Krieges und für eine bessere Zukunft. Ori, ein junger Rebell, dem die Forderungen der Postillen und Flugblätter nicht weit genug gehen, schließt sich dem sagenumwobenen Räuberhauptmann Toro an, dessen kleine verschworene Gruppe sich zum Ziel gesetzt hat, die Machthaber in direkten Aktionen anzugreifen, statt einzig auf die Macht des Wortes zu vertrauen.
Der Krieg zwischen New Crobuzon und den Tesh, einem mit magischen Waffen kämpfenden Volk, gerät zu einer Knochenmühle, die die Gesellschaft New Crobuzons auf eine Zerreißprobe stellt. Die Insurrektionisten wagen den Umsturz. New Crobuzon zerfleischt sich selbst in mörderischen Auseinandersetzungen um die Macht. Auf dem Höhepunkt der Insurrektion beginnt ein Gerücht die Runde zu machen: Der Eiserne Rat selbst, der Inbegriff der Rebellion gegen die Ungerechtigkeiten des Regimes, kehrt in die Hauptstadt zurück, um sein Gewicht für die Rebellen in die Waagschale zu werfen.
Und so geschieht es tatsächlich. Doch diese Aufständischen der ersten Stunde bringen der von Bürgerkrieg und Chaos gezeichneten Stadt statt der ersehnten Befreiung eine schreckliche Nachricht: Die Tesh planen New Crobuzon dem Erdboden gleichzumachen, und ihre Vorbereitungen dazu sind schon viel weiter gediehen, als Regierung und Rebellen sich in ihren schlimmsten Alpträumen ausgemalt hätten. Werden die verfeindeten Parteien ihre Gegensätze überwinden können, um ihrer Vernichtung zu entgehen?
China Miéville schöpft in "Der Eiserne Rat" aus dem Vollen. Myriaden bizarrer Gestalten bevölkern seine Welt, Mischwesen aus Technik, Magie und Natur; die Vielfalt der biologischen und thaumaturgischen Absonderlichkeiten, die er dem Leser präsentiert, ist derartig opulent, dass sie sich nur schwer beschreiben lässt. In einer atemlos anmutenden Folge von Ereignissen entfaltet sich die Bedeutung des Eisernen Rates, jenes in den Bereich des Legendären entrückten Gebildes, für eine Welt, die an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde zu gehen droht.
In einer breit angelegten Rückblende wird die Geschichte des Eisernen Rates erzählt, einer durch Ausbeutung und grausame Arbeitsbedingungen zusammengeschweißten Gruppe von Bahnarbeitern, Prostituierten, ehemaligen Kriminellen und Hoffnungslosen, deren Rebellion gegen das Joch der allmächtigen Eisenbahngesellschaft zum Fanal der Befreiung gerät. Ständig auf der Flucht vor den Angriffen der Miliz, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Rebellen zu vernichten, dringen sie in Regionen vor, die auf keiner Karte verzeichnet sind, und vollbringen tatsächlich das zweifache Wunder, dort eine Gesellschaft zu errichten, in der Standesunterschiede und Herkunft keine Rolle mehr spielen, und die Attacken der Miliz zu überleben. So werden sie zur Hoffnung der Welt, zu einer verkörperten Utopie, deren Mythos Kraft zum Widerstand spendet.
Die Schönheit von Miévilles ausdrucksstarker, vertrackter Sprache, seine plastischen Schilderungen, seine überbordende Vorstellungskraft, die in ihrem Detailreichtum an die visionäre Malerei Breughels erinnert, all das zieht den Leser zweifellos in seinen Bann. Gerade dieser unerschöpfliche Detailreichtum und Miévilles Suche nach stets neuen ausdrucksstarken Bildern sind es aber auch, die nach der ersten Hälfte des immerhin fast siebenhundert Seiten starken Romans Ermüdungserscheinungen provozieren. Seine Strategie, unglaubliche und tragische Ereignisse rasch durch noch unglaublichere und tragischere Ereignisse zu toppen, lässt früher oder später Gleichgültigkeit aufkommen, und spätestens nach dreihundert Seiten ist es keine Überraschung mehr, wenn ein weiteres Mal Dutzende neuer Spezies über die Seiten flattern, kriechen oder schweben. "Der Eiserne Rat" erschöpft sich in einer Inflation des Wunderbaren, bei der die Geschichte seiner Figuren zur Nebensache gerät. Neben dem Getöse des Krieges, all den farbenprächtigen Bizarrerien und pompösen Unfassbarkeiten, die Miéville aufbietet, ist ihre Stimme kaum zu hören.
Und hier liegt auch die größte Schwäche des Romans: Es gelingt Miéville trotz der Großartigkeit des Themas und trotz der visionären Kraft, die er zweifellos besitzt, nicht, seine Figuren lebendig werden zu lassen. Die Beiläufigkeit, mit der gestorben wird, ohne dass dies für die mächtig voranwalzende Handlung von Belang wäre, ist ein Indiz dafür; ein anderes, dass die Motive der Hauptfiguren wenig nachvollziehbar erscheinen - außer natürlich, dass es eine hervorragende Sache ist, sein Leben für ein großartiges Ideal aufs Spiel zu setzen. Das Persönliche, Individuelle, Alltägliche bleibt auf der Strecke. Die Figuren wirken dadurch flach und austauschbar, und tatsächlich hat man gerade bei den Nebenfiguren Mühe, sie auseinander zu halten.
Andererseits bietet "Der Eiserne Rat" ohne Zweifel ein hohes Maß an Spannung und eine Fülle interessanter Begebenheiten und Lebewesen, eine spektakulär erzählte Geschichte, die vor allem vom grenzenlosen Einfallsreichtum des Autors lebt, weniger von einem ausgeklügelten Plot oder einer facettenreichen Charakterzeichnung. Ein farbenprächtiger, höchst unterhaltsamer Bilderbogen, der wie ein schmackhaftes, aber kalorienreiches Konfekt am besten in kleinen Happen genossen wird. Genrepuristen werden über die Zuordnung zur Science-Fiction den Kopf schütteln, denn "Der Eiserne Rat" enthält reichlich Elemente anderer phantastischer Genres, aber derartige Crossover gehören inzwischen zum festen Bestand der phantastischen Literatur, so dass dies nicht wirklich einen Kritikpunkt darstellt.