Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Bildqualität | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Das Wirtschaftswunder erlebt einen ersten Einbruch, die Welt steht vor einem atomaren Dritten Weltkrieg. Adenauer tritt ab und mit ihm im Grunde eine ganze Generation, denn plötzlich werden Traditionen und Werte infrage gestellt: "Eine dynamische Gesellschaft", wie sie der Untertitel des hier vorgestellten Fotobandes bezeichnet, erlebt und gestaltet die Sechzigerjahre in der Bundesrepublik Deutschland.
Dieses turbulente und folgenreiche Jahrzehnt wird unter vier Gesichtspunkten dokumentiert: "Reformen und demokratische Bewährungsproben", "Außenpolitik vor neuen Herausforderungen", "Wirtschaft: Der große Boom und erste Krisen", "Gesellschaft und Kultur im Umbruch".
Innenpolitisch steht die junge Demokratie vor einer Zerreißprobe. Der Mauerbau zeigt, dass die ersehnte Wiedervereinigung in absehbarer Zeit unmöglich sein wird. Erhard hat als Kanzler keinen Erfolg und wird von Kiesinger abgelöst. Die Große Koalition wehrt eine beginnende Rezession ab, ist aber mit der Studentenrebellion völlig überfordert. Überraschend kommt es 1969 zum Machtwechsel.
Der Mauerbau hat die Welt empört, aber nicht beunruhigt. Die Kubakrise führt sie jedoch an den Abgrund eines nuklearen Krieges und demonstriert, dass ein Dialog mit dem Osten notwendig ist, den Willy Brandt aufnehmen wird. Zuvor aber laviert die Bundesrepublik ungeschickt zwischen Frankreich und den USA, und ihre historisch und moralisch notwendige Unterstützung Israels ermöglicht es der DDR, enge Partnerschaften mit den arabischen Staaten aufzubauen. Während des Prager Frühlings schweigt der Westen, als ob der Eiserne Vorhang undurchsichtig wäre.
Die Wirtschaft erlebt durch Bergbaukrise und Zechensterben einen leichten Dämpfer: Öl ist billiger als deutsche Kohle. Doch die Konjunktur erholt sich rasch, und die Arbeitslosigkeit sinkt von damals erschreckenden zwei Prozent wieder ab. Obwohl sich Grenzen des Wirtschaftswachstums andeuten, entstehen in der Politik kühne, hoffnungslos überzogene Visionen und Pläne, die 1973 von der Ölkrise zerschlagen werden.
Besonders im kulturellen und gesellschaftlichen Bereich haben die Sechzigerjahre Spuren hinterlassen. Es kommt zu einer Internationalisierung, Beatles und Rolling Stones, Woodstock und Twiggy beeindrucken die Jugend, deutsche Schlager verkaufen sich allerdings nach wie vor. Zu einem gewaltigen Umbruch kommt es in Bezug auf die Werte und Moralvorstellungen, wobei gelegentlich das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. Nicht zuletzt führt die Hinterfragung der Vergangenheit auch zu einer schmerzhaften Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit.
Jeder der vier Abschnitte beginnt mit einem inhaltlichen Abriss der jeweiligen Entwicklung in den Sechzigern, der chronologisch oder nach unterschiedlichen Aspekten des Themas gegliedert ist. Der Autor bemüht sich um eine objektive Darstellung und Beurteilung - kein einfaches Unterfangen bei etlichen Themen, die auch heute noch polarisieren.
Der Autor präsentiert in diesen Texten die Sechzigerjahre kompakt unter den wesentlichen Fragestellungen und leitet die richtungsweisenden Ereignisse, zum Beispiel die Kubakrise, aber auch die Studentenrebellion, klar und nachvollziehbar her.
Dem Abriss folgt jeweils der nach denselben Gesichtspunkten gegliederte Fototeil. Die zumeist großformatigen schwarz-weißen Bilder werden in ausreichender Ausführlichkeit kommentiert; oft handelt es sich um Fotos, die der Betrachter bereits kennt: Das Buch will Schlaglichter des Jahrzehnts präsentieren. Zu den bekannten Bildern gehören der DDR-Grenzsoldat, der während des Mauerbaus einem kleinen Jungen heimlich über den Stacheldraht hilft, Kennedy in Berlin, die Umarmung Adenauers und de Gaulles, Benno Ohnesorgs Tod, die russischen Panzer in Prag, das "Wunder von Lengede", die Mondlandung und viele mehr. Aber auch die weniger häufig abgedruckten Fotos spiegeln das Jahrzehnt wider, so die Werbeplakate und -spots (für Parteien oder Konsumgüter), typische Kunstwerke und Künstler, ein Contergan-Kind und ein Stau auf der A3. Die Bilder sind von guter Druckqualität, freilich können sie nicht besser sein als die damaligen Originale.
Am Ende des Buchs findet sich eine chronologische, nach Jahren gegliederte Übersicht, die sich zur Orientierung als sehr hilfreich erweist. Lesehinweise bieten Anregungen zu vertiefender Lektüre.
Das Buch ermöglicht einen tiefen und vielschichtigen Einblick in eine Zeit der Krisen, die kaum mehr als eine Generation zurückliegt und uns dennoch überraschend fremd ist. Und wenn ein Bild auch angeblich mehr sagt als tausend Worte, so wurde in diesem Buch doch eine vorzügliche Mischung aus beidem angewandt.