Um eines vorwegzunehmen: Dieser Was-Ist-Was-Band ist kein Bestimmungsbuch für Pilzsammler und will dies auch explizit nicht sein. Selbstverständlich geht es immer wieder um essbare oder auch giftige Pilze, doch das Buch handelt hauptsächlich von der Biologie der Pilze. Fälschlicherweise werden Pilze oft als Pflanzen angesehen, aber sie gehören neben den Pflanzen und den Tieren einem eigenen biologischen Reich an.
Im Buch werden zunächst die Besonderheiten der Pilze herausgearbeitet, vor allem die Merkmale, die sie von Pflanzen und Tieren unterscheiden, und ihre Funktion als Zersetzer organischen Materials; es sind nebst Kleintieren und Bakterien hauptsächlich Pilze, die tote organische Materie für Pflanzen aufnehmbar machen, diese also gewissermaßen "recyclen".
Pilze haben aber noch manchen anderen Lebensraum erobert als Wälder, Auen und Wiesen. Manche leben als Parasiten auf und in Pflanzen, Tieren und Menschen (zum Beispiel Mehltau, Fußpilz), andere als Symbionten von Pflanzen (Partnerschaften mit Bäumen, aber auch beispielsweise Algen) und Tieren (Blattschneiderameisen), manche wie der Mutterkornpilz schmarotzen auf Feld- und Gartenfrüchten, und der eine oder andere Schimmel- und Hefepilz ist als Käse-, Bier- und Weinerzeuger beim Menschen überaus beliebt. An Vielseitigkeit sind diese seltsamen Lebewesen jedenfalls kaum zu übertreffen.
Interessant sind nicht nur die unterschiedlichen Funktionen der Pilze im erwähnten ökologischen Sinne, sondern auch ihre Lebenszyklen. Kaum jemand weiß, dass der Fruchtkörper der Ständerpilze wie Champignon und Steinpilz nur der Sporenbildung und verbreitung, somit der Fortpflanzung, dient, während der eigentliche Pilz sich als Mycel sehr viel weiter im Boden erstreckt. Und die uns bekannten Wald- und Feldpilze lassen sich in etliche Klassen und Ordnungen einteilen, die alle ihre eigenen Tricks zur Fortpflanzung entwickelt haben. Hexenringe sind nach der Lektüre ebenso wenig ein Rätsel wie "Hexeneier".
Man findet im Buch auch zahlreiche Tipps rund ums Pilzesammeln, Bestimmen und Zubereiten einschließlich der notwendigen Ausrüstung - darunter selbstredend ein "richtiges" Bestimmungsbuch - und eines Pilzkalenders sowie die für bestimmte Biotope typischen essbaren Pilze. Bebilderte Übersichten über beliebte Speisepilze sowie Gegenüberstellungen von Speisepilzen und ihren giftigen Doppelgängern werden von Informationen über die unterschiedlichen Giftwirkungen und Ratschläge zum Verhalten bei Vergiftungen ergänzt.
Pilzzucht, Gefährdung der Artenvielfalt von Pilzen, Pilze als teilweise krank machende Ernteschädlinge und Parasiten der Menschen und ihre praktische Anwendung als Antibiotikaproduzenten, Bäcker und Brauer sind weitere Themen des ungemein vielseitigen Buchs.

"Was Ist Was" ist seit Jahrzehnten die wohl führende Jugend-Sachbuch-Reihe, und die Erfahrung des Verlags lässt sich auch bei diesem Band erkennen. Vorkenntnisse über Pilze sind nicht nötig, und jedes einzelne Thema wird gründlich, allerdings nie langatmig, und vielseitig erläutert. Die Länge der Texte zu den jeweiligen Themen bemisst sich am Aufnahmevermögen älterer Kinder und Jugendlicher; vor allem finden sich immer wieder grafische Übersichten und Skizzen, kurze Einschübe mit speziellen Inhalten und natürlich zahlreiche Fotos, die den Text nicht nur sinnvoll ergänzen, sondern auch optisch auflockern. Dazu dient ebenfalls die Hervorhebung von Schlagworten innerhalb der Kapitel, die zudem eine rasche Orientierung ermöglicht, wenn man beispielsweise später noch einmal einen Sachverhalt nachlesen möchte - die Benutzung des vorzüglichen Registers wäre in diesem Fall freilich eine bessere Alternative.
Der Autorin gelingt es, ein scheinbar banales Wissensgebiet - für die meisten Jugendlichen beschränken sich Begegnungen mit Pilzen scheinbar auf Champignons und, wenn sie Pech haben, Fußpilz - sehr spannend und attraktiv aufzubereiten. Gerade die Allgegenwart von Angehörigen des biologischen Reiches der Pilze, ihre Vielgestaltigkeit und ihre Kunst, mit "Erfindungsreichtum" die eigenartigsten ökologischen Nischen zu besetzen, machen diese Lebewesen zu einem sehr interessanten Forschungsgegenstand, der, wie auch im Buch angedeutet, noch die eine oder andere Überraschung parat haben dürfte. Die Faszination der Autorin überträgt sich durchaus auf den Leser, und die vielen praktischen Tipps dürften manchen neugierig gewordenen Leser dazu verleiten, unterwegs Pferdeäpfel genauer zu begutachten oder auch komplett ausgerüstet loszuziehen, um dem im Kinderlied besungenen Männlein, das im Walde auf einem Bein steht, unters purpurrote oder auch braune, rosa und weiße Mäntelein zu sehen.