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"Das ist der Inhalt der Befragung der Gleichheit: Sie ist eine Kritik der Gleichheit am Maßstab der Individualität."
So steht es auf dem Klappentext des Buches. Genauer befragt dieses Buch die politische Reflexion der Gleichheit und versucht diese Reflexion schärfer zu fassen.
Wessen Gleichheit? Damit ist die Gleichheit der Individuen im Staat gemeint, und Menke lässt keinerlei Zweifel aufkommen, dass er damit die demokratische und keine andere Staatsform meint. Wenn aber die Gleichheit der Individuen im Staat reflektiert werden soll, dann steckt darin ein uraltes, seit Aristoteles immer wieder überdachtes Paradox: das Paradox zwischen Gleichheit und Freiheit, zwischen Gleichheit und Individualität.
Wird, so argumentiert Menke, die Gleichheit von der Perspektive der Individualität aus betrachtet, dann wird die Gleichheit von außen gesehen, ihr damit aber der Vorrang abgesprochen, den sie im modernen Staat haben soll. Wird die Gleichheit dagegen aus der Innenansicht reflektiert, muss sie sich damit auseinandersetzen, dass sie nur leer argumentieren kann und so zu der Formel kommt: gleich ist, was gleich ist.
Um diesen doppelten Zwiespalt zu lösen, überführt Menke das Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Individualität in einen Prozess der zunehmenden Verwirklichung. Gleichheit sei "die Selbstreflexion der Demokratie", und darin sei "die Demokratie ebenso Objekt wie Subjekt der Reflexion". Über diesen Schritt kann Menke dann die Individualität als notwendigen Bestandteil der Gleichheit hinstellen: sie ist insofern notwendiger Bestandteil, als sich die Gleichheit nur über das Vergleichen herstellen kann, also indem sie das in sich hinein nimmt, unterscheidet und prüft, was ihr äußerlich ist. Dadurch muss die Gleichheit als etwas Heterogenes und Prozesshaftes gefasst werden, und der Einspruch gegen die jeweils aktuelle Praxis der Gleichheit als ebenso praktizierte Gleichheit.
Sind dies die Ausgangsthesen, mit denen Menke das Buch eröffnet, so führt er im nächsten Kapitel drei Formen der Moralbefragung vor. Die Genealogie Nietzsches, die negative Dialektik Adornos und der Dekonstruktivismus Derridas werden zueinander in Bezug gesetzt, und jeweils Folgerungen daraus gezogen. Nietzsches Begriff der Moral erweist sich nach Menke als intern homogen insoweit, als die Moral ihre Herkunft im Ressentiment habe. Genau diese Homogenität bezweifelt Menke im Vorhinein schon, wenn er die Gleichheit als notwendig verbunden mit der Individualität sieht, also einem per se Heterogenen. Dagegen wird die Gleichheit, so erläutert Menke weiter, bei Adorno und Derrida als heterogen gefasst. Und genau dies macht diese beiden Denker für Menke so wichtig. Der Untertitel des Buches "Politische Philosophie nach Adorno und Derrida" weist darauf hin.
Im folgenden werden Theorien der Gerechtigkeit besprochen: Derrida, Rawls, Adorno, Luhmann, Habermas, Carl Schmitt.
Die Interpretationen von Menke muss man allerdings kritisch bewerten. Dies disqualifiziert zwar Menkes Buch in keinster Weise, da es ein so hohes Niveau der Reflexion erreicht, dass eine überdurchschnittliche Bewertung selbstredend ist.
Dennoch soll für Derrida und Luhmann exemplarisch erläutert werden, wo die Knackpunkte in der Lektüre stecken:
Menke vermutet, dass die Dekonstruktion das Verstehen des Individuums nur gelten lässt, wenn man dieses Verstehen in der Sprache des zu verstehenden Individuums ausdrückt. Genau dies aber meint Derrida nun nicht: Das ganze Problem der Übersetzung, das Derrida in seinen Schriften immer wieder anspricht, ist mit dem Problem der Gerechtigkeit eng verknüpft. Zielt die Übersetzung auf das andere Individuum als ein vollständig und gänzlich zu übersetzendes, um diesem gerecht zu werden, so kann diese Übersetzung nur geleistet werden, wenn der Übersetzer sich völlig frei und unabhängig von dem Anderen an dieses Sprechen macht. Dies aber führt zu einer Paradoxie: Die Übersetzung muss zugleich völlig fremd und völlig eigen sein, um gerecht genannt werden zu können. Praktizierbar ist dies nicht und trotzdem soll und darf man von dieser Gerechtigkeit, so Derrida, nicht ablassen, so unmöglich sie erscheint. Dekonstruktion heißt, das Unmögliche zu wollen.
Ganz klar aber überführt Derrida die Gerechtigkeit in einen stets unvollendeten Zustand. Menke unterscheidet sich an dieser Stelle nicht so sehr von der Dekonstruktion.
Luhmann wird von Menke sowohl überschätzt als auch unterschätzt. Überschätzt wird Luhmann in dem Sinne, als dessen Untersuchungen über die Gleichheit kein normatives Programm verwirklichen wollen. Luhmann bezeichnet sich selbst als Soziologe, und sein Programm als den Versuch einer Gesamtbeschreibung aller sozialen Systeme. Er schlägt in seiner Analyse zum Wohlfahrtsstaat nicht vor, wie man es besser machen könnte, sondern weist darauf hin, dass der Wohlfahrtsstaat eigene Programme entwickelt, die das Individuum nicht in sich "verwirklichen" können. Insofern ist Luhmanns Soziologie aber keine Ethik. Das Problem der Gleichheit kann und wird von Luhmann nur unter der Perspektive untersucht, wie sich dieses mit systemtheoretischen Begriffen beschreiben lässt, nicht, wie es gerecht gelöst werden kann. Umgekehrt aber wird Luhmann unterschätzt, wenn Menke die Frage nach dem, wie sich ein Individuum in die Gesellschaft einbringen kann, nur auf den Wohlfahrtsstaat als "Identität" untersucht wird. Die Heterogenität des Wohlfahrtsstaates beruht genau auf dem Zulassen einer Vielzahl nebeneinanderher operierender Systeme. Und dies bedingt eine je andere Stellung des "Individuums" zu diesen Systemen, mithin auch eine je unterschiedliche Form von Beziehung und eine je unterschiedliche "Gleichheit". Gleichheit in dem Sinne von Menke, lässt sich bei Luhmann nur finden, wenn man bereit ist, Menkes Problem ganz und gar durch die Begrifflichkeiten von Luhmann zu rekonstruieren. Genau dies aber macht Menke nicht: er - so sagt er selbst - skizziert nur, und missversteht so den systemtheoretischen Ansatz.
Wie ist dieses Buch zu bewerten? Insgesamt hervorragend. Menke argumentiert sehr klar für ein sehr differenziertes, realistisches und praxisnahes Konzept der Gleichheit, das weder Probleme überspielt, noch in Resignation verharrt, Gleichheit ließe sich nicht verwirklichen. Für sich und in sich ist der Gedankengang des Buches klar herausgearbeitet und gut zu verstehen. Über die Interpretationen habe ich mich zwar teilweise geärgert, finde aber Menkes Gedankengang zu gut, um dies in die letzte Bewertung mit einfließen zu lassen.
Dieses Buch ist keine Einstiegslektüre in die politische Philosophie. Wer sich mit Adorno, Derrida oder den Fragestellungen der Philosophie nicht auskennt, sollte viel Geduld mitbringen und zunächst zu Übersichten und Einführungen greifen.