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Die Arbeitsdichte ist enorm, ein überwältigendes Freizeitangebot lockt, und das In-Sein bringt natürlich auch zahlreiche Verpflichtungen mit sich. Was für ein Glück, dass dem gestressten postmodernen Menschen so viele eifrige, selbstlose Helferlein zu Verfügung stehen, die ihn beim Zeitsparen unterstützen und die Lebensqualität erhöhen. Wer mag schon losen Tee oder Kaffee aufbrühen, wenn es doch die praktischen Beutel beziehungsweise den Vollautomaten gibt, und die Erfindung der Fernbedienung erspart uns manchen lästigen Meter - sowie natürlich verschwendete Sekunden oder gar Minuten.
Nur: Wo finden wir sie eigentlich wieder, die gesparte Zeit? Denn das Zeitsparen funktioniert ja nicht wie das Geldsparen. Das Zeitkonto ist immer leer.
Der Autor untersucht exemplarisch einige der mittlerweile selbstverständlichen kleinen "Alltagsbeschleuniger" auf ihre Wirkung, er geht ihrer Geschichte nach und hinterfragt ihren Sinn. Zu ihnen gehören der erwähnte Teebeutel, der nicht nur einen Teil des Aromas stiehlt, sondern auch die wohltuende, Geist und Seele erfrischende Teestunde zu einer hastigen, genusslosen Teeminute gemacht hat; die Modegetränke Espresso und Prosecco, deren Standard-Konsument sich als jung-dynamischer, postmoderner Business-Mensch und Besucher meist recht oberflächlicher Partys einordnen lässt, der somit dem beschleunigenden Zeitgeist folgt und "in" ist; die erwähnte Fernbedienung, die zusammen mit dem unübersichtlichen Angebot an Fernsehsendern und der Abschaffung des Sendeschlusses für suchtartiges Herumzappen und zwanghaftes Verweilen vor einem nicht gerade hochwertigen Programmangebot ("Bleiben Sie dran!") verantwortlich zeichnet. Zeitersparnis bringt das jedenfalls nicht, im Gegensatz zu Tütensuppen und Suppenwürfeln. Diese haben zum Ausgleich dazu beigetragen, dass man die Essenszubereitung und die Nahrungsaufnahme selbst nur noch wie andere lästige Tätigkeiten nebenher verrichtet. Und da wir so viele Angebote gleichzeitig wahrnehmen sollen und können, sind wir, so der Autor, zu "Simultanten" geworden.
Dass es auch ohne die Spirale der Hektik geht, zeigen einige "ausrangierte Helden der Zeiterfahrung": die bewusst wahrgenommene Pause, der Übergang, das gelegentliche Innehalten, deren Wert der Autor aufzeigt. Und da die Zeit offensichtlich ein so kostbares Gut ist, dass man mit ihr sparsam umgehen muss, sollten wir uns den Luxus erlauben, sie sinnvoll einzusetzen, zum Beispiel für das Zusammensein mit Menschen, an denen uns etwas liegt.
Der Zeitforscher Karlheinz A. Geißler wägt sehr kritisch die Vor- und Nachteile unserer "unentbehrlichen" kleinen Helfer ab. Denn meistens bewirken sie statt einer Entlastung eine unheilvolle Beschleunigung des Alltags. Statt Zeit für eine gute, liebevoll aufgebrühte Tasse Tee und ein ebenso gutes Gespräch während des Konsums derselben aufzuwenden, frönen wir lieber der hektischen Betriebsamkeit und Oberflächlichkeit des Internets oder verfolgen simultan vier Fernsehprogramme. Da wir wichtig sind oder uns zumindest dafür halten, müssen wir natürlich überall und immer mit dem Handy erreichbar sein und berauben uns so der letzten kleinen Atempausen und Zeitoasen.
Es ist gar nicht schwierig, die nur scheinbare Zeitersparnis durch so manches Konsumgut zu entlarven. Da verwundert es nicht, dass der Autor oftmals einen satirischen Stil einsetzt und stark pointiert auf Absurditäten hinweist. Wer dem Alltagstechnisierungswahn verfallen ist, wird Geißler vermutlich als fortschrittsfeindlich einstufen - und liegt dabei recht weit daneben. Sonst hätte Geißler auch die Erfindung der Waschmaschine gegeißelt (das Wortspiel sei angesichts der Vorliebe des Autors für ebensolchen Stil erlaubt). Ihm geht es um die Enthüllung der Tatsache, dass unser "Simultanten-Lifestyle" die Lebensqualität einschränkt und nicht etwa erhöht. Gleichzeitig zu bügeln, im Fernsehen per Videotext die Börsenkurse zu verfolgen und ein Krimi-Hörbuch zu konsumieren - das ist in der Tat Stress, kein Zeitmanagement.
Abgesehen von diesem Aspekt bietet das Buch auch interessante und originelle Ausflüge in die Geschichte der einzelnen Konsumgüter, denn wer weiß schon, welch erstaunliche soziokulturelle Bedeutung dem guten alten Taschentuch beschieden war, bevor das "Tempo" es verdrängte, dass der Teebeutel eigentlich aufgrund eines Missverständnisses entstand, und wie "Liebigs Fleischextrakt" zum Vater des "Instant Food" wurde.
Die Lektüre des klassisch-hochwertig aufgemachten Buchs lohnt sich somit in mehrfacher Hinsicht, sofern der Leser den Mut hat, sich mitunter einer bissigen, ironischen Kritik seiner lieben Gewohnheiten auszusetzen.