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Rose Daniels lebt vierzehn Jahre lang in der Hölle: Ihr Ehemann Norman schlägt und demütigt sie. Weil er Polizist ist und weiß, wie er die Verletzungen seiner Frau im Krankenhaus am besten erklären kann, kommt die Wahrheit nie ans Licht, und Rose schweigt - schweigt in panischer Angst vor dem Mann, den sie mit 18 Jahren geheiratet hat und der sie bereits in der Hochzeitsnacht so fest gebissen hat, dass sie immer noch eine Narbe davon trägt. Vierzehn Jahre lang geschehen schreckliche Dinge, und Rose verliert sogar ihr Baby, nachdem Norman ihr in den Bauch geschlagen hat.
Der Auslöser für Roses spontane Flucht aus diesem Albtraum ist letztendlich banal: Sie entdeckt eines Morgens einen Blutfleck auf ihrem Bettlaken, einen kleinen dunkelroten Fleck, der von ihrer blutenden Nase herstammt, nachdem Norman sie am Abend zuvor ins Gesicht geschlagen hat. Rose verfällt in eine ungeahnte Art der Erregung - was, wenn Norman sie eines Tages umbringt? Oder noch schlimmer - wenn er sie nicht umbringt, sondern sie ihn weitere vierzehn Jahre lang aushalten muss? In einem für sie völlig untypischen Anfall von Aktivität nimmt Rose Normans Bankkarte aus ihrem Versteck unter dem Kaminsims und verlässt das Haus. Sie hebt 350 Dollar am Bankautomaten ab, nimmt einen Greyhound-Bus in eine weit entfernte Stadt und gelangt über Umwege in ein Frauenhaus. Fast scheint es so, als hätte sich durch den kleinen Blutfleck auf dem Bettlaken alles zum Guten gewendet - denn es dauert nicht lange und Rose bekommt eine Wohnung und einen Job. Aber einen Cop wie Norman kann man nicht einfach abschütteln
Er weiß, wie man Flüchtende findet, und er ist schon auf dem Weg, um sich an Rose zu rächen.
"Das Bild" beginnt thematisch so gar nicht in typischer Stephen-King-Manier, denn statt Horror und Grusel gibt es detaillierten und für den Leser sehr schmerzhaften Ehe-Terror aus nächster Nähe. Die Schilderungen, wie Rose ihr Kind verliert oder wie Norman sie mit einem Tennisschläger vergewaltigt, sind hart an der Grenze der Dinge, über die man überhaupt etwas lesen möchte. Hier liegt einerseits eine Stärke von Stephen King - er beschreibt schonungslos und ohne Umschweife Dinge, die ganz zweifellos auf der Welt passieren -, andererseits strapaziert er hiermit die Nerven des Lesers ganz erheblich, denn viele Details sind einfach ekelerregend. Norman ist eine absolut verabscheuenswürdige Romanfigur. Er hasst Frauen (obwohl er sich einredet, dass er Respekt vor manchen von ihnen hat), Juden, Ausländer und Homosexuelle gleichermaßen. Roses Mann ist aber nicht nur ein Schläger, er ist auch durch und durch wahnsinnig. Dass er bereits mehrere Menschen brutal ermordet hat, ahnt Rose auf ihrem Weg in die Freiheit nicht. Doch King wäre nicht King, wenn er nicht mystische und übernatürliche Elemente in seinen Roman einbauen würde. In diesem Fall ist der mystische Gegenstand das titelgebende Bild, auf dessen Rückseite rätselhaft die Worte "Rose Madder" hingekritzelt sind. Dieses Bild, das Rose spontan in einer Pfandleihe erwirbt, ist ein Tor in eine andere Welt, die stark angelehnt ist an die Sage um den Minotaurus und das Labyrinth von Knossós. Der Leser ahnt früh, dass es in dieser düsteren und unheimlichen Welt hinter dem Bild zum Showdown zwischen Rose und ihrem durchgedrehten Exmann kommen wird.
Über die Handlung im Ganzen gesehen lässt sich streiten. Beide Teile des Romans - die Szenen von Rosies Ehehölle und ihre Flucht aus derselben sowie die Szenen, die hinter dem geheimnisvollen Bild spielen - sind unheimlich spannend und, wie man es von King gewohnt ist, einfach fantastisch geschrieben. Gerade die Szenen im Labyrinth sind von einer unglaublichen Intensität und Atmosphäre. Andererseits ist die Mischung "Schicksal einer misshandelten Frau" auf der einen Seite und "mystische Sagenwelt" auf der anderen irritierend und insgesamt nicht so dankbar. Rosies Schicksal ist knallharte Realität, die wie ein Traum wirkende Flucht in das Bild muss im Kontrast zu dieser nüchternen Welt zwangsläufig etwas weit hergeholt und abgedreht wirken, vor allem, weil misshandelte Frauen im wahren Leben eben keine Hilfe in Form eines Bildes bekommen. Nichtsdestotrotz ist "Das Bild" ein sehr gelungener Roman mit einigen sehr brutalen Szenen, die Frauen und Männer gleichermaßen betroffen machen werden, zumal King gleich mehrere Männer in diesem Roman als Tiere darstellt, während die Frauen in den meisten Fällen Opfer sind. Fazit: Für Stephen King-Fans ein Muss! Es handelt sich aber weniger um einen Horrorroman als vielmehr um einen nervenzerreißenden Thriller. Starke Nerven und bisweilen auch ein starker Magen sind hier wieder einmal Bedingung.