Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Gefühl | |
Humor | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Ton | |
Lord Henry Wotton besucht seinen Freund, den berühmten Maler Basil Hallward. Der hat sich in letzter Zeit rar gemacht und Lord Henry findet heraus, dass er an einem Portrait arbeitet. Voller Bewunderung und ehrlich begeistert preist Lord Henry das Gemälde als Meisterwerk, als das beste Gemälde, das Basil je gemalt hat. Der Maler stimmt zu und schildert seinem Freund, mit welcher wachsender Anteilnahme an dem Bild er den darauf abgebildeten jungen Mann portraitierte. Lord Henry bittet Basil, ihm den jungen Mann vorzustellen, der seinen Freund offensichtlich so tief beeindruckt hat. Der aber lehnt ab. Er hat Angst, das der zynische Lebemann seinen jungen Freund verderben könnte. Doch just in diesem Moment kündigt Basils Butler den jungen Dorian Gray an. Der auffallend schöne, noch nicht volljährige Gray betritt das Atelier und Lord Henry beschließt, das Modell Basils zu seinem Studienobjekt, zu seinem Geschöpf zu machen.
Er vertritt Dorian gegenüber die These, dass Schönheit und Amoral, Genuss und Sünde das einzige sei, was im Leben eines jeden Müßiggängers von Interesse sein könne in diesem langweiligen, ach so modernen England des neunzehnten Jahrhunderts. Er bemerkt genauestens die Reaktionen Dorians, den er auf der Stelle für sich eingenommen zu haben scheint. Dorian versteigt sich, noch ganz im Bann der ungeahnten, neuen Welt, die ihm Lord Henry offenbart hat, Basil gegenüber zu der Behauptung, dass die Jugend das einzige auf der Welt sei, das einen Wert besitzt und er sich töten würde, wenn er entdecke, dass er alt werde. Dorian drückt seinen Neid gegenüber dem Portrait aus, dass ewig jung bliebe, er aber würde nach wenigen Monaten altern und hässlich werden. Der entsetzte Basil, Idealist und Romantiker mit Leib und Seele, ahnt nicht, wie sehr Lord Henry bereits Einfluss auf Dorian nimmt und nehmen wird. Immer stärker gerät Dorian Gray in den Bann Lord Wottons und dessen hedonistische Lehren werden sein Lebensinhalt.
Oscar Wildes einziger Roman aus dem Jahr 1890/91 spielt im viktorianischen Zeitalter in London. Das gesamte Hörbuch ist beherrscht von den Dialogen dreier Männer und mit zunehmender Dauer dem inneren Monolog des Dorian Gray. Es ist eine Gegenüberstellung zweier gegensätzlicher Auffassungen von Moral. Auf der einen Seite der Maler Basil Hallward, der das viktorianische England "vertritt", dessen romantisierende Lebensauffassung, die Idealisierung von Seele und Geist. Auf der anderen Seite der hedonistische, rein der Lust und der Sinneserfahrung huldigende Lord Henry Wotton, der die Vorstellungen des Autors wiedergibt. Entsprechend der offenen Zurückweisung überkommener Moral und bigotter Lebensführung, der fast lustvollen Darstellung des amoralischen Lebensstils Dorian Grays, führte dieses Buch zu einem Skandal und der Autor wurde öffentlich angefeindet. Nicht zuletzt durch dieses Buch und die im folgenden offen zu Tage tretenden homosexuellen Neigungen Oscar Wildes kam es zu einer Gerichtsverhandlung und zur Inhaftierung des Autors. Gesundheitlich angeschlagen, verschwand er nach der Haft aus der Öffentlichkeit und starb am 30. November 1900.
"Dorian Gray" blieb der einzige, große Roman von Oscar Wilde. In seiner Komposition brillant und sprachgewaltig, elegant im Stil und hart und kompromisslos in seinen Aussagen. Wilde verwob Prometheus-, Faust- und Luzifer-Mythen zu einem Kunstwerk, das bis heute seine Wirkung auf die Leser hat und seinen Erfolg zu Recht verdient.
Der Vortrag des ungekürzt übertragenen Romans durch Jan Josef Liefers ist ein Glücksfall. Vor allem die im Mittelteil des Hörbuchs sehr langen, schwierigen und komplexen Textpassagen, die den inneren Wandel des Dorian Gray darlegen, werden so intensiv und wahrhaftig vorgelesen, dass man das Gefühl hat, Gray selbst trage die Essenz seiner Vorstellungen, Qualen und leidenschaftlichen Erfahrungen mit.
Wichtigster Kunstgriff dieses Romans ist die Rolle, die das Bildnis Dorians hat. Es wird zu einer eigenständigen Person, zu einem Gewissen und Gedächtnis Grays. Das Bild wird zum wahren Dorian Gray, wird zu dem Mann, der erlebt, fühlt, trauert, triumphiert.
Es ist zugleich Sinnbild für den heute herrschenden Jugendwahn. Oscar Wilde beruft sich auf die griechischen Klassiker, das Dandytum seiner Zeit und die Wirkung des Schönen im romantischen England. Doch ist die moderne Aussage, das "Dorian-Gray-Syndrom" (eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, bei der das eigene Ich im Mittelpunkt des Strebens und Denkens steht) heute um so wirksamer und aktueller als vor einhundert Jahren.
Vielleicht erklärt das den auch heute noch anhaltenden Erfolg des Buches. In jedem Fall ist es in dieser Hörbuchedition, die in einer wundervollen roten Pappschachtel, einem ausführlichen Booklet und einem perfekten Sprecher zu einem angemessenen Preis zu erwerben ist, ein Gewinn für jede Hörbuch-Bibliothek.
Einzig der überbordende Detailreichtum, der fast fanatische Perfektionismus Oscar Wildes führt immer wieder zu langweiligen, für die Entwicklung des Protagonisten unwichtigen Schilderungen und Passagen, die dem Hörbuch das Tempo nehmen. Auch wenn Jan Josef Lievers in dem Bemühen diese Textstellen möglichst interessant zu gestalten großes Lob zuzusprechen ist, kann er doch nicht vermeiden, dass der Hörer Schwierigkeiten hat, die Konzentration zu wahren.
Fazit: Diese Edition ist fantastisch. Der Sprecher ist in Bestform, Layout und Ausstattung sind hervorragend. Da auch der Text, einer der großen Klassiker der Weltliteratur, brillant ist, kann man nicht fehlgehen, wenn man diese Box erwirbt. Man sollte aber wissen, dass Langmut und Konzentrationsfähigkeit vonnöten sind, den oft sehr langen Monologen zu folgen.