Eine Farm in einem sehr abgelegenen Teil der USA: Hier ist Pellaz aufgewachsen, wohlbehütet und unbedarft in einer heilen Welt. Was im Rest der Welt geschieht, bekommen er und seine Familie nur von Reisenden mit: Seltsame Menschen, Wraeththu genannt, treiben dort ihr Unwesen, durchstreifen in Banden die Städte und verbreiten Angst und Schrecken, und immer wieder wird von kaltblütigen Gräueltaten berichtet. Ein Forscherpaar zeichnet eine düstere Zukunftsvision, in der diese Menschen sich ausbreiten und auch vor einsamen Flecken wie dieser Farm inmitten wüstengleicher Landschaft nicht halt machen. Angeblich entführen sie junge Männer, um wer weiß was mit ihnen anzustellen.
Der sechzehnjährige Pellaz macht sich darüber wenig Sorgen - bis eines Tages dieser Fremde namens Cal daher geritten kommt und eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf den Jungen ausübt. Wie alle anderen Reisenden wird er gastfreundlich aufgenommen, die Familie ist von ihm angetan, und besonders Pellaz, in dessen Zimmer der Fremde übernachten soll. Makellos schön, dieser Cal, anziehend wie ein Magnet, und darüber hinaus offenbart er Pellaz, dieser sei etwas Besonderes. Nach einer Nacht, die nicht nur räumlich gemeinsam verbracht wird, brechen die beiden früh auf - Pellaz wird den Fremden begleiten, und niemand soll ihn aufhalten.
So ziehen sie durch die Wüste und ins Gebirge, Pellaz von Zweifeln und Wissensdurst zugleich gepackt, Cal geheimnisvoll und verschwiegen. Sie erreichen die kleine Gebirgsstadt Saltrock. Hier sind alle wie Cal: Schön, männlich und weiblich zugleich, geheimnisvoll, Wraeththu. Hier erfährt Pellaz, dass er zu einem von ihnen gemacht werden soll, dass die Gerüchte, die er über die Wraeththu gehört hat, von einer Minderheit handeln, die diesen Kult auf ihre Überlegenheit den normalen Menschen gegenüber begründet und pervertiert hat. Wraeththu ist anders, ist eine reine, spirituell-esoterische Lebensform, die vieles Menschliche überwindet, zum Beispiel die Geschlechtertrennung, die hier zur Geschlechtervereinigung wird. Pellaz unterzieht sich dem Wandel, der für ihn einer zweiten Geburt gleich kommt. Und hier beginnt erst seine Geschichte, denn ihm ist Großes vorherbestimmt ...

Dies ist der erste Roman um den Wraeththu-Mythos von Storm Constantine, die inzwischen zwei Trilogien um diese Thematik herausgegeben hat. Erstmals erschien der Roman 1987, 2003 hat die Autorin ihn überarbeitet und die Änderungen in ihrer Einleitung festgehalten. Wir erleben in diesem Band der Trilogie "die Wraeththu-Chroniken" Wandlung und Werdegang der Hauptfigur Pellaz, und mit ihm zusammen wird der Leser in die Welt der Wraeththu eingeführt, um die die Autorin einen komplexen Kult geschaffen hat. Einen Einblick erhält der Leser in ihrem dreiteiligen Anhang, den man sich aber nicht vor der Lektüre der Geschichte zu Gemüte führen sollte, denn gerade der Umstand, dass man genauso viel oder wenig weiß wie Pellaz, übt einen großen Reiz aus und veranlasst zum konsequenten Weiterlesen. Verstärkt wird dieser Reiz dadurch, dass die Autorin Pellaz die Geschichte in der Ich-Form erzählen lässt.
Die Sprache ist raffiniert und effektvoll: Selten ein Wort zuviel, die Dialoge immer nachvollziehbar, der Leser wird auf die Folter gespannt wie Pellaz auch, der durch seine unzähligen hartnäckigen Fragen die Wraeththu um ihn herum zur Weißglut bringt, und vor allem die Beschreibung seiner Verwandlung und der Initiationsriten ist von rauschartiger Wortwahl geprägt, die einfach fesselt. Interessanterweise passiert eigentlich lange Zeit nicht viel, statt Spannung und Action setzt die Autorin auf Faszination und Gesellschaftsstudie, ohne dass es aber auch nur einen Augenblick langweilig wird. Diese Beobachtung und Darstellung des Wraeththu-Miteinanders macht auch vor dem sexuellen Akt des "Aruna" nicht Halt, ohne dass sie jedoch billig, anrüchig oder kitschig wirkt; es gehört einfach zum Kult und zum Alltag.
Bei Material und Aufmachung hat sich der Zauberfeder-Verlag einiges geleistet: Der hochwertige kartonierte Umschlag ist matt laminiert und teilweise lackiert und weist Umschlagklappen auf, daneben ist ganz hinten im Buch eine farbige Karte eingeklebt, die die USA aus Wraeththu-Sicht zeigt. Zusammen mit der anspruchsvollen Geschichte und den erwähnten Anhängen ergibt sich ein rundes und attraktives Medium auch in Bezug auf den Preis.

In "Der Zauber von Fleisch und Geist" gibt es keine Drachen und Zauberstabschwinger, dafür sicher gewöhnungsbedürftige, aber auf jeden Fall sehr erwachsene Phantastik. Die neu überarbeitete Fassung bietet auch Fans der Autorin und des Wraeththu-Mythos? noch Kaufanreize, und wer genug hat von fremden Welten, der kann sich hier von Storm Constantine davon überzeugen lassen, dass auch unsere Welt noch voller Möglichkeiten ist. Hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis, alternative Fantasy, die aber mehr als andere Werke des Genres Geschmackssache ist, und spannende, faszinierende Lektüre.