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Sonias "One-Night-Stand" ist eine herbe Enttäuschung. Sie beschließt ihr Leben von Grund auf zu ändern. Ihre Ehe, die Scheidung, das ziellose Leben danach. Doch die Nacht mit dem Fremden, die Drogen - was auch immer - führt dazu, dass Sonia glaubt, verrückt zu werden. Sie fühlt Farben. Ohne Zweifel sind diese Sinneseindrücke real und keine Einbildung. Aber warum?
Als sie beginnt, Geräusche zu sehen und Formen zu schmecken ergreift sie fast fluchtartig die Gelegenheit, ein neues Leben zu beginnen. Sie nimmt einen Job als Physiotherapeutin in einem neu eröffneten Berghotel an und hofft, dass Bergluft, Einsamkeit und Ablenkung durch den Beruf die "Erscheinungen" lindern oder sie verschwinden lassen.
Doch es wird nur noch schlimmer. Zur Zerstreuung beginnt sie ein Buch zu lesen, das sie im Hotel findet. Sie ahnt nicht, dass die Geschichte um den "Teufel von Mailand" sie gefangen nehmen und verändern wird. Wer will sie aus dem Hotel vertreiben, wer treibt sein seltsames, diabolisches Spiel mit ihr?
Die Sprache Suters fließt auf hohem Niveau dahin. Brillante Schilderungen, wundervolle Metaphern, ausgeklügelte Beschreibungen, skurrile Situationen reihen sich aneinander. Satz auf Satz beweist die hohe Kunst, die der Autor erreichen kann. Leider aber hat man auf fast zweihundert Seiten das Gefühl, dass dem Autor das Wichtigste abhanden kommt, zu entgleiten scheint: die Geschichte, der rote Faden, die Handlung.
Etwas hilflos folgt man der Heldin von einer Katastrophe zur Nächsten. Betrachtet mit ihr die Landschaft, die Menschen, die Geschehnisse. Aber warum fließt diese sprachliche Reise ins einsame Bergdorf und in die Abgründe der menschlichen Seele so ziellos, so ohne jeden Spannungsbogen dahin?
Das Buch entwickelt sich von einem literarischen Exkurs über die Fähigkeiten des Autors zu einem langweiligen, sinnlosen Erguss. Fast legt man dieses Buch zur Seite, fast gibt man ratlos auf: Ist dies wirklich ein Suter? Soll man dem Autor noch zwei oder drei Seiten eine Chance geben?
Doch dann beginnt das letzte Drittel des Buches. Fast unmerklich weicht die Langeweile einer atemlosen Spannung. Fast ohne es zu merken fesselt die Geschichte den Leser, nimmt auch den zögerlichsten, dem Geschehen bisher gänzlich Abgeneigten gefangen: Dieses Buch ist fantastisch! Fast von einer Seite zur nächsten wendet sich das Blatt. Das Buch, das man vorher fast verfluchte und immer wieder zur Seite legte, gibt man nun nicht mehr aus der Hand. Die letzten Seiten liest man in einem Rutsch, kann sich der Faszination der Geschichte nicht mehr entziehen. Ja, es ist ein echter Suter. Dieses Buch ist spannend, großartig komponiert und lesenswert - leider nur die letzten einhundert Seiten. Ob das genügt, dieses Buch in seiner Gänze zu mögen, muss der Leser entscheiden. Wer bis zum Ende gelangt, wird zufrieden sein, aber auch ein bisschen wütend - so lange einer uninteressanten Geschichte folgen zu müssen, um dieses Ende zu erleben, erscheint nicht fair.
Fazit: An diesem Roman scheiden sich die Geister. Einem zähen, mühsam lesbaren Anfang, der immerhin zweihundert Seiten dauert, folgt ein brillanter Schluss, leider nur einhundert Seiten lang. Lohnend ist die Geschichte mit Sicherheit, ob man sich aber eine derart zu kritisierende Aufteilung antun muss oder sollte, ist schwierig zu entscheiden, aber der Lohn ist in jedem Fall eine einzigartige Idee, etwas seltsam in die Form eines Romans gegossen. Vielleicht wäre eine Kurzgeschichte der Weisheit letzter Schluss gewesen, aber dies zu verlangen wäre eine Anmaßung des Rezensenten.