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Die Bomben und Feuerstürme des Zweiten Weltkriegs, aber auch die Modernisierungswelle während des Wirtschaftswunders und ideologische Überlegungen führten zur Vernichtung zahlreicher Bauwerke aus verschiedenen Jahrhunderten, die das adlige und bürgerliche Selbstverständnis ihrer jeweiligen Epoche repräsentierten. Mit ihnen verschwanden auch die Persönlichkeiten ihrer Erbauer und Besitzer aus dem öffentlichen Bewusstsein - bedauerlicherweise, wie dieses Buch anhand ausgesuchter Beispiele nachzuweisen vermag.
Zu den ältesten hier dokumentierten Gebäuden gehören Renaissancehäuser reicher Bürger, zumeist Händler, zum Beispiel das Lübecker Schabbelhaus, das jahrzehntelang als Museum diente und die Lebensart à la Buddenbrooks widerspiegelte, bis britische Brandbomben ihm 1942 den Garaus machten. Ähnlich erging es Schloss Zerbst in Sachsen-Anhalt, einem der vielen barocken Fürstensitze auf dem römisch-deutschen Flickenteppich, der zwar mit Blick auf Versailles prunkvoll, dabei jedoch elegant und geschmackvoll gestaltet war. Dort wuchs die künftige Zarin Katharina die Große auf, damals noch als Sophie von Anhalt-Zerbst. Sie blieb dem Ort ihrer Kindheit lebenslang verbunden. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs brannte das barocke Juwel aus und wurde später fast komplett abgerissen. Das ebenfalls reizvolle Schloss Schönhausen, Bismarcks Geburtshaus, wurde 1958 gesprengt, weil es den DDR-Oberen als Symbol der Junkerherrschaft ein Dorn im Auge war.
Den klassizistischen steinernen Statussymbolen erging es oft nicht besser, so dem Ständehaus in Karlsruhe, das dem liberalen Ideal verpflichtet war - seinerzeit etwas Revolutionäres; es fiel dem Neubauwahn der Sechziger zum Opfer. Romantisch mutet hingegen die Geschichte von Schloss Weilburg (Baden bei Wien) an, das ein Habsburger Erzherzog seiner verehrten, viel jüngerer Frau baute und liebevoll einrichtete, die dann allzu jung verstarb. Das Gebäude ging zugrunde, als eine Wehrmachtseinheit es beim Rückzug versehentlich in Brand steckte.
Während der Gründerzeit entstanden mehrere prächtige Warenhäuser, zumeist Eigentum neidisch beäugter Juden. Häusern wie Besitzern war ab 1933 gleichermaßen ein schlimmes Schicksal beschieden. Hierzu gehört beispielsweise das Warenhaus Wertheim in Berlin. Die Sitze weiterer Bürger jüdischer Konfession oder Abstammung blieben ebenfalls nicht verschont, so das Wiener Palais Rothschild und in Frankfurt die Villa Waldfried und das Haus Buchenrode, die den Brüdern von Weinberg gehörten, bedeutenden Mäzenen. Einer der Brüder starb im KZ Theresienstadt.
Die Liste lässt sich über einige renommierte Theater weiterführen zu Bahnhofsgebäuden, Rathäusern, der Alten Markthalle Hannover und Firmensitzen aus unterschiedlichsten Epochen, die alle Geschmack und Luxus ihrer Zeit repräsentierten.
Zahlreiche qualitativ hochwertige, oft sehr detaillierte Fotos und Zeichnungen der verschwundenen Gebäude, ihrer Besitzer und Architekten lassen die Höhepunkte adligen und bürgerlichen Wohlstandes wiederauferstehen. Auf welche Weise könnte man Reichtum und zeitgenössischer Geschmack besser zur Schau stellen als mittels eindrucksvoller, großzügig ausgelegter und reich verzierter Gebäude? Manch eines unter ihnen erscheint uns heute überladen und protzig; schützenswerte Momentaufnahmen untergegangener Epochen wären sie dennoch gewesen. Andere, beispielsweise das erwähnte Schloss in Zerbst und manches alte Bürgerhaus, waren echte Schatzkästchen, wurden als solche jedoch entweder zur Zeit ihres Abrisses nicht anerkannt, aus rein kommerziellen Gründen vernichtet oder von einer höheren Gewalt, dem Bombenkrieg, allzu gründlich zerstört.
Die Texte geben dem Leser einen fundierten, kurzweiligen Einblick in die persönliche Geschichte der Bauherren und späteren Besitzer, selbstverständlich auch in jene des jeweiligen Bauwerks, und sie beschreiben detailliert die architektonischen Besonderheiten sowie die Herkunft und Eigenheiten der Architekten und beteiligten Künstler, ohne den stilistischen Kontext außen vor zu lassen. So kann der Leser einschätzen, inwiefern es sich um einen eher typischen Vertreter der Baukunst einer bestimmten Epoche oder um ein außergewöhnliches Einzelstück handelt. Die Schilderungen menschlicher Tragödien, die mit etlichen der porträtierten Baudenkmäler verbunden sind, verleihen dem Buch einen ganz eigenen, melancholischen Charme. Weniger bekannte, dennoch schillernde Persönlichkeiten wie die lesbische Fotografin und Frauenrechtlerin Sophia Goudstikker mit ihrem ausgefallenen Jugendstilhaus faszinieren den Leser ebenso wie die Geschichte rund um das Münchner Herzog-Max-Palais, in dem Kaiserin "Sisi" aufwuchs. Das Gebäude fiel dem Größenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer.
Das Buch, inhaltlich fundiert und abwechslungsreich gestaltet und hervorragend illustriert, besticht auch durch seine ansprechende Aufmachung: ein erstklassiger Reiseführer für eine prachtvolle, von Dramen überschattete, untergegangene Welt.