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Tancrède Turlupin ist Perückenmacher. Doch in seinen Tagträumen gehört er dem hohen Adel Frankreichs an und reitet durch die Straßen von Paris. Was er nicht ahnt, ist dass Kardinal Richelieu just in diesem Moment plant, den gesamten Adel Frankreichs an einem einzigen Tag zu ermorden. Am "Tag des Federballspiels" sollen einfache Bürger, Knechte und Bettler, gedungene Mörder und Gesindel - aufgehetzt von den Vasallen des Kardinals - ihr blutiges Handwerk beginnen. Am Ende dieses Tages soll nur noch Richelieu über Macht und Einfluss verfügen.
Durch ein Missverständnis glaubt Turlupin, er wäre der erstgeborene Sohn eines Herzogs und nur ein Wink von ihm würde ihm Macht und Einfluss in Adelskreisen gewähren. So stolpert der naive und gutgläubige Turlupin unversehens mitten in die Ränkespiele des Adels und den Plan des Kardinals. Und wieder Erwarten spielt grade der Perückenmacher die entscheidende Rolle in diesem Machtkampf.
Die Erstausgabe des Romans "Turlupin" erschien 1924 im Münchner Albert Langen Verlag. Wenige Jahre später landete dieses Buch und alle anderen dieses vielgelesenen deutsch-österreichischen Autors inmitten anderer verfemter Bücher auf den Scheiterhaufen der Nazis und wurden verbrannt. Perutz floh nach Palästina, erlangte aber Zeit seines Lebens nicht mehr die Bekanntheit, ja Berühmtheit der Vorkriegsjahre.
Im November 2006 erschien dieser Roman im Deutschen Taschenbuchverlag. Er schildert im historisch korrekten Kontext die fiktiven Ereignisse rund um Turlupin im Frankreich Richelieus. Dem Autor gelingt es diese Zeit - 1642 herrschte der mächtige Kardinal Richelieu bereits achtzehn Jahre lang - zu erhellen. Zahllose Details beleben ein Frankreich zwischen dekadentem Adel und bitterarmen Bürgern in Paris. Sowohl die Verhältnisse "auf der Straße" als auch die Vorgänge, die im Adel Frankreichs zu dieser Zeit herrschten, sind Gegenstand des Romans. Leider ist der Held dieser Ereignisse ein uninteressantes, dummes und vom Pech verfolgtes Nichts. Er ist eher eine Schablone denn ein Mensch und agiert ohne eigenen Willen eher als Spielball der Ereignisse. So pendelt die spannungsarme Geschichte zwischen den Ängsten und Nöten des Perückenmachers und den ihn umgebenden Geschehnissen, auf die er keinen Einfluss hat und die er doch entscheidend verändert. Einfach nur durch seine Dummheit, Ignoranz und Anwesenheit an einem Platz, an den er nicht gehört.
Sinn und Ziel dieses Romans bleiben im Dunklen, einzig die Tatsache, dass das Schicksal seinen Lauf nimmt und nicht danach fragt, wer Akteur und wer Zuschauer ist, verbleibt im Gedächtnis. Der Aberwitz, dass ein Tölpel, ein Nichts, ein Perückenmacherlehrling die mächtigste Nation der damaligen Zeit, den allmächtigen Kardinal und das Schicksal des gesamten Adels Frankreichs in seinen Händen hat und es weder ahnt noch bewusst beeinflusst, ist bemerkenswert. In Zeiten zahlreicher Heldenepen, Kriminalgeschichten und Abenteuerromanen, kreiert Leo Perutz einen Gegenentwurf.
Geschickt in der historisch realen Welt verankert, stellt er die Frage, ob es Momente in der Geschichte gibt, an der einzelne Menschen den Lauf der Dinge ändern, weil sie zum Helden geboren sind und die Gelegenheit erkennen, oder ob Geschichte abläuft, ohne Ziel und Chance, ohne beeinflussbar zu sein von Intellekt und Akteur. Seine Position ist eindeutig: Der Mensch folgt dem Geschehen. Die Dinge, die passieren, sind Folge unzähliger unbewusster Handlungen und weder plan- noch steuerbar. Für Perutz stellt sich Geschichte als unbewusster Prozess dar und nicht als Ergebnis einzelner heroischer Taten.
Diese Geschichte liest sich sehr kurzweilig. Der oft komplexe, verschachtelte Stil PerutzÂ’ ist anspruchsvoll und interessant zugleich. Die Eloquenz dieses Autors und die bildhafte Sprache machen Spaß, und sein versierter Umgang mit der vergangenen Epoche spricht von großer Sorgfalt und Akkuratesse. Leider ist der Charakter Turlupins belanglos und sein Schicksal wenig spannend erzählt.