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Einst von den Menschen ausgesetzt, ist die junge Chinesin Nugua allein unter den mächtigen Drachen aufgewachsen, die sie trotz ihrer geringen Größe wie eine der ihren behandeln. Wie ein Vater sorgt der Drachenkönig Yaozi für das inzwischen vierzehnjährige Mädchen und verspricht, immer für sie da zu sein. Doch eines Morgens sind die Drachen wie vom Erdboden verschluckt, ohne Spuren des Aufbruchs, ohne Nugua mitzunehmen und vor allem ohne jeden guten Grund. Als hätten sie sich von einem Augenblick auf den nächsten in Luft aufgelöst - gegen ihren Willen? Doch wer auf der großen weiten Welt wäre mächtig genug, den fliegenden Echsen so etwas anzutun? Nugua schnürt ihr Bündel und macht sich auf den Weg durch das riesige China des achtzehnten Jahrhunderts, auf der Suche nach ihren schuppigen Freunden und Antworten auf ihre Fragen ...
Mit den Wolken treibt die riesige Insel des Wolkenvolkes rund um den Erdball. Einst von dem großen Leonarda Da Vinci erbaut und noch heute von den Nachkommen des italienischen Adelsgeschlechts der Medici regiert, hat sich das "Volk der hohen Lüfte" schon vor langer Zeit von der Erde abgekapselt. Der Boden gilt als gefährlich; Kontakt mit Auswärtigen hat es schon seit vielen Jahren nicht mehr gegeben. Da sie Gott im Himmel nicht gefunden haben, schufen sich die Bewohner des fliegenden Reiches eine neue Religion. Ihre Priester beten zum Zeitwind, haben das geschriebene Wort verboten und halten den schwachen Herzog an der kurzen Leine. Am meisten unter ihrer Herrschaft leiden jene, die sich gegen die starren Regeln auflehnen. So wie Cesare Spini, der trotz des Verbotes Bücher las und von der fernen Erde träumte. Für diese Blasphemie wurden sowohl er als auch sein Sohn Niccolo vom Herzog auf Druck der Priester an den äußeren Rand verbannt.
Doch Cesare Spini ist nun tot, und sein Sohn lebt seit einem Jahr allein im großen Haus seines Vaters. Isoliert von Rest des Wolkenvolkes führt er ein beschauliches aber einsames Leben, umgeben nur von seinen Tieren und den Büchern seines Vaters - dessen Traum von einem Leben auf der Erde er weiterträumt. Ein Traum der in greifbare Nähe rückt, als das Wolkenreich eines Tages ins Schlingern gerät. Von den Ausläufern eines gewaltigen Gebirges aufgefangen, wird der Absturz der Wolkeninsel zwar gerade noch einmal abgebremst, aber der Untergang scheint unvermeidlich - so es denn nicht gelingt, die Aetherpumpen wieder in Betrieb zu nehmen. Dafür braucht es jedoch den Aether selbst, den Atem der Drachen, von dem es am Himmel all die Jahre keinen Mangel gegeben hat.
Auch wenn es Blasphemie ist, auf Antworten können die Wolkenvölkler nur auf der Erde hoffen. Leider haben sie nur begrenzte Möglichkeiten überhaupt jemanden dorthin zu schaffen, und es müsste schon jemand sein, der sowohl Sprache als auch Schrift des Landes beherrscht, in dessen Bergwelt das "Volk der hohen Lüfte" zurzeit gefangen ist. Da Niccolos Vater tot ist, hat Herzog Jacobo keine andere Wahl, als sich an dessen Sohn zu wenden. Dieser beherrscht tatsächlich wie sein verstorbener Vater mehrere Sprachen und unschätzbare Kenntnisse über die zahllosen Länder und Kulturen der Welt - darunter auch das gewaltige China. Allein bricht Niccolo auf, um die Drachen zu finden und sein Volk zu retten. Auf seinen Reisen trifft er auf Nugua, die, wenn auch aus anderem Grund, dasselbe Ziel wie er verfolgt. Gemeinsam reisen sie durch China und geraten dabei in einen Konflikt der weit über ihre Vorstellung, über das Schicksal der Drachen und das Überleben des Wolkenvolkes hinausgeht.
Nach der Merle- und der Wellenläufer-Trilogie legt Kai Meyer mit "Seide und Schwert" nun den ersten Band seiner dritten großen Jugendfantasy-Saga vor - und bleibt sich dabei selbst treu. Oder - wenn man es abwertender formulieren möchte - er greift erneut auf sein selbstgestricktes Muster zurück: Eine Gruppe Jugendlicher in einem fantastisch angehauchten historischem Umfeld gerät durch Ereignisse, die sie nicht kontrollieren können, auf eine abenteuerliche Reise, von der letztlich nicht weniger als das Schicksal der Welt abhängt - warum sollte es auch um weniger gehen. Aber diese Wortwahl klingt viel negativer als es gerechtfertigt wäre, denn obwohl Meyer tatsächlich einem gewissen Grundschema folgt, macht er seine Sache doch ausgesprochen gut. Und überhaupt: Sinn, gerade der fantastischen Literatur, ist es ja nicht, das Rad neu zu definieren, sondern aus Gegebenen etwas Neues, Spannendes und Unterhaltsames zu schaffen. Und in dieser Beziehung hat Meyer es inzwischen wirklich zum Meister gebracht.
Aus dem gleichen Grund ist auch der Vorwurf unfair, dass Meyer uns erneut Waisenkinder vorsetzt. Diese bevölkerten die Jugend- und insbesondere die fantastische Jugendliteratur auch schon lange vor Kai Meyer - oder etwa J.K. Rowling, um das populärste Beispiel unserer Zeit zu nennen - und werden wohl auch in Zukunft eine breite Lobby in diesem Genre unterhalten. Machen wir uns nichts vor, auf der magischen Entdeckungsreise sind Eltern doch nur im Weg. Viele Autoren bringen sie darum schon vor der ersten Seite um, oder wahlweise im Prolog oder dem ersten Kapitel. Das gibt dem Autor / der Autorin zusätzlich die Möglichkeit, ungestört mit der Herkunft ihrer jungen Helden zu spielen - etwas worauf, wie ich vermute, auch Kai Meyer hier wieder hinaus will. Niccolos Mutter bleibt während der ganzen Geschichte auffällig unerwähnt und auch Nuguas unbekannte Eltern könnten im weiteren Handlungsverlauf noch eine Rolle spielen.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, und während viele im chinesischen Hintergrund der Geschichte vielleicht ein exotisches Versprechen sehen, werden sich andere Leser gerade durch die Wahl dieses Handlungsortes verunsichert fühlen. Unweigerlich drängt sich das Bild hochgestylter Martial-Arts-Spektakel und kunterbunter, wenn auch eigentlich aus Japan kommender, Manga- und Anime-Welten auf. Und tatsächlich, Meyers Inspiration wird im Verlauf der Geschichte überdeutlich. Doch es ist eine bekannte Erkenntnis, dass vieles, was im Buch hervorragend funktioniert, in Film und Fernsehen plötzlich der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Dass das Spiel auch in umgekehrter Richtung funktioniert, und gerade das, was so manchen Leser auf der großen Leinwand oder dem kleines Bildschirm nerven würde, in Worten formuliert plötzlich wie eine gute Idee klingt, ist dann doch eine Überraschung. Tatsächlich erschafft Meyer - mithilfe fantastischer Elemente natürlich - im alten China eine Atmosphäre, in der sich jeder Fantasy-Fan schon bald sehr wohl fühlen wird.
Trotzdem wird den europäischen Lesern die Geschichte des Wolkenvolkes vielleicht doch noch etwas mehr ansprechen. Eine von Leonardo Da Vinci erschaffe Wolkeninsel, die Medicis als Herrscher, ein kleiner fliegender Teil Italiens, ... was für eine herrlich verrückte Idee. Hier mischt Meyer erneut gekonnt sein historisches Wissen mit fantastischen Einfällen.
Wie schon "Frostfeuer" besitzt auch der jüngste im Loewe-Verlag erscheinende Kai Meyer-Roman einen Schutzumschlag und einen Lesefaden. Außerdem - und das ist eine sehr erfreuliche Verbesserung - einen Hinweis auf dem Cover, dass es sich um einen Zyklus handelt. Zwar nicht um welchen Teil davon, aber immerhin. Das Coverbild selbst ist in einem kräftigen Orange gehalten und zeigt zwar keine Szene aus dem Buch, fängt die Atmosphäre der Geschichte aber trotzdem ziemlich gut ein. Alles in allem eine sehr gelungene Aufmachung.
Fazit: Mit "Seide und Schwert" beginnt Kai Meyers neuer Fantasy-Zyklus; und was für ein Anfang das ist! Vor - aus europäischer Sicht - exotischster Kulisse, macht sich Meyers neueste Schar jugendlicher und unfreiwilliger Abenteurer auf eine beschwerliche Reise. Im bislang viel versprechendsten ersten Band (im Vergleich zu "Die fließende Königin" und "Die Wellenläufer") legt Meyer hier den Grundstein für eine weitere großartige Fantasy-Trilogie. Ein empfehlenswertes Buch für alle Fans des Genres.