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Erlendur mag Geschichten von Verschwundenen. Einsame Opfer der Witterung oder des Zufalls, der Unglücke, die auf Island halt passieren, wenn man die Warnungen der Mitmenschen und die Wetterlage ignoriert. Seltener sind es Opfer von Verbrechen, die den Kommissar wirklich interessieren.
Niemand versteht, warum ihn der unbekannte Tote, der in einer Baugrube einer Neubausiedlung in ein Meter Tiefe gefunden wird, so beschäftigt. Vielleicht ist es seine eigene Einsamkeit, seine im Koma liegende Tochter oder der Hass seiner Ex-Frau, die er unvermutet nach über zwanzig Jahren wiedersieht. Oder sind es die spärlichen Hinweise, die in mühevoller Kleinarbeit eine traurige, tragische Geschichte zu erzählen scheinen? Immer wieder erweisen sich die Spuren als Irrwege, als lange vergessene Episoden, die mit dem Toten nichts zu tun haben. Erlendur aber gibt nicht auf. Er will herausfinden, wer dort begraben wurde und ob es noch einen lebenden Menschen gibt, dem dieser Tote nach fast sechzig Jahren noch etwas bedeutet.
Dieses Krimi-Hörbuch ist gar keins. Schnell merkt man, dass es hier nicht um eine Tätersuche geht, sondern um Menschen und ihre Schicksale. Äußerst versiert verknüpft der Autor verschiedenste Handlungsabläufe. Neben der Ermittlung ist es vor allem eine Charakterstudie Erlendurs und Geschichte seiner Ehe, die immer wieder in den Blickpunkt der Ereignisse rückt. Aber auch die Lebensumstände seines Mitarbeiters werden immer wieder eingeblendet. Tragisch und fast lähmend werden diese Elemente mit Versatzstücken dramaturgisch sehr geschickt kombiniert, die vor mehr als sechzig Jahren geschehen sind und offensichtlich irgend etwas mit dem Leichenfund zu tun haben. Doch die spärlichen Hinweise, die der Autor einfließen lässt, sind eher Vermutungen und Ahnungen denn Gewissheiten.
Kern dieses "Krimis" ist Erlendur. Dieser einsame, deprimierte Mann lebt entwurzelt inmitten von Menschen und Geschehnissen, die ihn nicht berühren. Einzig die Schicksale der Verstorbenen, die Schatten der Vergangenheit ziehen sein Interesse auf sich. Dieser sperrige Charakter ist das Besondere an diesem isländischen Roman. Dank Frank Glaubrecht, der Synchronstimme von Al Pacino, Pierce Brosnan, Jeremy Irons oder Richard Gere, gerät dieser stoisch wirkende Isländer so interessant, dass er den Hörer zu fesseln vermag.
Ganz nebenbei baut der Autor eine Spannung auf, die sich weniger aus der Frage heraus bildet, wer der Täter war, als aus den vielen einzelnen Fragmenten und Handlungsfetzen, denen man sich nicht entziehen kann und die man "gelöst" haben will.
Leider ist dieses Hörbuch stark gekürzt. Der komplexe Roman von Arnaldur Indridason wirkt stellenweise arg verstümmelt. Die knapp vier Stunden reichen zwar aus, ein spannendes, interessantes und einmaliges Hörbuch entstehen zu lassen, aber das Meisterwerk, welches die Buchvorlage eindeutig darstellt, ist es nicht geworden.
Zwar liefert der Sprecher eine erstklassige Leistung ab und die Geschichte wirkt in ihrer dramaturgisch gekonnten Verkürzung stringenter und packender als der Roman, aber die zahlreichen Facetten der Hauptfiguren, die "der Schere zum Opfer gefallen sind", wiegen schwer. So ist eine völlig andere Geschichte entstanden, die ihre Berechtigung und ihre künstlerische Aussage hat, aber nicht vergleichbar ist mit der Tiefe und nachhaltigen Wirkung, die der Roman erzeugt.