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Der Protagonist der Erzählung, ein namenloser Lehrer an einem städtischen Gymnasium für Jungen in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, gerät in Konflikt mit der herrschenden Ideologie, als er vor einer Klasse die Äußerung fallen lässt, dass "Neger auch nur Menschen" seien. Der Vater eines seiner Schüler, der Bäckermeister N., demonstriert seine rechtgläubige Gesinnung, indem er den Lehrer beim Direktor des Gymnasiums anschwärzt, der ihn daraufhin dazu vergattert, derartige Äußerungen in Zukunft zu unterlassen. Der Lehrer fügt sich und schweigt fortan bei ähnlichen Anlässen, aber es gelingt ihm nicht, sein Gewissen zum Schweigen zu bringen.
Im Zeltlager, wo die Klasse den ersten militärischen Drill erhalten soll, fügt der Lehrer sich ins Unvermeidliche und beaufsichtigt die Jungen, wie es von ihm erwartet wird. Aber nicht nur die Jungen werden gedrillt; in einem Schloss in der Nähe ist eine Gruppe von Mädchen untergebracht, deren Kriegstauglichkeit ebenfalls durch Marschieren und Geländeübungen gestählt werden soll. Eine dritte Gruppe, eine Bande obdachloser Kinder und Jugendlicher, die in der Nähe in der Höhle hausen und sich durch kleine Diebstähle in der Umgebung versorgen, sorgt für Unruhe, als einem der Jungen ein Fotoapparat gestohlen wird.
Die Jungen werden zu abwechselnder nächtlicher Wache eingeteilt. Bei einer dieser Nachtwachen beobachtet der Lehrer den Schüler Z., der nicht nur ein heimliches Tagebuch führt, das er in einem verschlossenen Kästchen aufbewahrt, und heimlich Briefe empfängt, sondern offenbar zur Krönung des Ganzen eine Liebesbeziehung zu einem der obdachlosen Mädchen unterhält. Der Lehrer bricht das Kästchen auf und liest das Tagebuch des Z., worin dieser seine heimliche Liebesbeziehung schildert. Der Lehrer, unschlüssig, wie er handeln soll, legt das Tagebuch wieder zurück und beschließt, mit seinem Schüler zunächst ein Gespräch zu führen. Doch die Ereignisse entwickeln sich rascher und folgenschwerer, als er ahnt: Z. beschuldigt seinen Zeltkameraden N., das Kästchen aufgebrochen und sein Tagebuch gelesen zu haben, und im Laufe des Tages wird N. im nahe gelegenen Wald mit einem Stein erschlagen. "Jeder, der mein Kästchen anrührt, stirbt", hatte Z. geschrieben. Diese Eintragung wird zur Grundlage einer Anklage, und gegen Z. und seine jugendliche Geliebte Eva wird ein Mordprozess eröffnet. Der Lehrer hat berechtigte Zweifel an Z.s Schuld. Doch wird er den Mut aufbringen, seine eigene Schuld und seine Verstrickung in die Ereignisse zu offenbaren - oder wird er den Dingen ihren Lauf lassen und damit zwei Leben zerstören?
Ödön von Horváths 1937 veröffentlichte Erzählung ist nicht nur ein herausragendes Zeitdokument, das in der Genauigkeit seiner Beobachtung und seinem sicheren Gefühl für die Widersprüche, Zwänge und Brüche eines Lebens in der Zeit des Nationalsozialismus beispielhaft ist. Horváth zeichnet darüber hinaus das Porträt einer Jugend, die fernab von jeder humanistischen oder religiösen Tradition zu einer rohen Generation von Kriegern erzogen werden soll, einer "Jugend ohne Gott", wie der Titel programmatisch zusammenfasst. Das Alltägliche, die individuelle Bewältigung der Gewissenskonflikte in einer Zeit, wo selbst die privatesten Gedanken und die persönlichsten Entscheidungen zum Verfügungsgut der Staatsmacht werden, steht im Vordergrund. Dabei präsentiert Horváth weder strahlende Helden noch verdammenswerte Schurken; seine differenzierte Charakterzeichnung, die sehr unterschiedliche Strategien aufzeigt, wie sich Menschen im Vorkriegsdeutschland mit dem Nazisystem arrangieren, kommt ohne derartige Schablonen und Feindbilder aus. Auch die Mitläufer und Hundertfünfzigprozentigen werden in seiner feinfühligen Darstellung nicht ihrer Menschlichkeit beraubt. Resignation und innere Emigration, aber auch glühende Begeisterung für das rassistische Heldenpathos und den Militarismus der herrschenden Ideologie finden ihren Ausdruck in seinen Figuren - und manchmal hilft ihnen nur der Alkohol, um sich die aussichtslosen Verhältnisse noch schönzutrinken.
Horváth, der 1938 in Paris verstarb, hat das Ende des Nationalsozialismus nicht mehr erlebt. Seine Antwort auf das Dilemma, in einer gewissenlosen Zeit ein Gewissen zu besitzen, besteht im individuellen Handeln. Horváth betrachtet Gott als die Quelle allen ethischen Empfindens, und daraus leitet er den Vorrang individueller Gewissensentscheidungen vor staatlichem oder ideologischem Zwang ab. Der Einzelne besitzt eine Stimme, der er, seiner eigenen Ethik folgend, auch gegen den Zeitgeist Geltung verschaffen kann, auch wenn dies bedeutet, ein hohes persönliches Risiko auf sich nehmen zu müssen. Diese Botschaft ist so zeitlos, dass sie auch siebzig Jahre nach der Niederschrift aktuell geblieben ist, ob mit oder ohne den religiösen Kontext, in dem der Autor sie formuliert.
Ein etwa dreißig Seiten starker Anhang bietet Anmerkungen zur Entstehungsgeschichte des Textes, Erklärungen zum Text und ein Quellenverzeichnis.