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Die neueste Ausgabe des Spectaculums, der bekanntesten Buchreihe mit modernen Theaterstücken, hat die Nummer 77. Und weil man hier eine lange Tradition weiterführt, passt es auch ganz gut, dass der Band von den Hörspielskizzen I und II von Samuel Beckett angefangen wird - nur modernes Theater ist das eigentlich nicht. Beide Skizzen umfassen gemeinsam die ersten 22 Seiten inklusive des Registers und der Titelseiten, also ist es auch nur ein kurzer Exkurs.
Geliebter Lügner von Jerome Kilty
Auch hier geht es in lang verlassene Zeiten des Theaters. Kiltys Stück für zwei Schauspieler ist ein dramatisierter Briefwechsel zwischen George Bernard Shaw und Beatrice Stella Campbell, der Schauspielerin, der er die Eliza Doolittle aus Pygmalion auf den Leib dichtete. Ein vergnügliches Stück Briefarbeit, eine interessante Beziehung und guter Humor. Die Uraufführung war 1959, und so wirkt dieser Text auch.
Dunkel lockende Welt von Händl Klaus
Eine Frau führt das letzte Gespräch mit ihrem bisherigen Vermieter, spricht über ihren Freund, der nach Südamerika gefahren ist, und dass sie ihm hinterher fahren will. Dann spricht sie mit ihrer Mutter über das Haus des Vermieters, über ihren Freund und über Biologie, denn die Mutter ist Biologin, sie selbst ist Ärztin. Später fährt die Mutter zu dem Vermieter, denn der soll noch etwas haben, mit dem er sie in der Hand hat. Ja, das ist verwirrend, und es stellt sich auch dem Leser so dar. Händl Klaus hat ein Sprachspiel zu hoher Qualität getrieben. Dialoge, die sich immer wieder überschneiden, sich unterbrechen und immer wieder einen anderen Sinn ergeben, wenn man sie nicht dialogisch denkt. Das ist eine hübsche Spielerei, aber der Inhalt ist von größerer Belanglosigkeit. Kunstvoll gemachte Langeweile.
Mit dem Gurkenflieger in die Südsee von Christoph Nußbaumeder
Polnische Arbeiter arbeiten auf den Gurkenfliegern, werden also bäuchlings auf einer Maschine liegend über die abzuerntenden Gurkenpflanzen gefahren und sammeln ein. Weitere polnische Arbeiter arbeiten in der nahen Fabrik; all das unter den Augen den Fabrikbesitzers. Und so bevölkern Menschen mit großen Hoffnungen die Bühne, versuchen sich gegenseitig zu unterstützen oder auch zu vernichten. In vielen kleinen Motiven werden Menschen mit existenziellen Problemen gezeigt, einige davon erinnern an Victor Hugos "Die Elenden". Was hier fehlt, ist allerdings ein Höhepunkt, das Stück plätschert eher vor sich hin.
Café Umberto von Moritz Rinke
Umberto, ein andalusischer stummer Ich-AGler, macht einen Kaffeestand im Arbeitsamt auf, das "Café Umberto". Dieses Arbeitsamt des Grauens, genauer dessen Wartesaal des Grauens, wird in den nächsten Wochen und Monaten immer hoffnungsloser. Die Mitarbeiter werden irgendwann durch einen Automaten mit der Stimme einer bekannten Moderatorin ersetzt, und die ist auch noch die Freundin eines der Dauergäste hier. Diese Stammgäste des Arbeitsamtes sind es aber auch, die hier immer wieder neue seltsame Hoffnungen schöpfen, seltsame, abgedrehte Probleme haben.
Moritz Rinke schreibt sehr lesbar und oftmals witzig, aber leider recht substanzlos. So wirkt das Café Umberto so weit von irgendeiner Wirklichkeit entfernt, dass es nicht mehr wirklich politisch ist, und auf der anderen Seite so profan, dass es keine Spannung zulässt. Ein kunstvoller Text, der nur leider nicht an das Publikum denkt.
Bei Einbruch der Dunkelheit von Peter Turrini
In den fünfziger Jahren spielt dieses Stück auf dem Gut einer alten Gräfin irgendwo in Kärnten. Während die Tochter in allem das Gute sieht, brüstet sich ihr Mann, ein Komponist, sexueller Abenteuer mit den Dorfbuben. Die Gräfin hält neben Tochter und Schwiegersohn auch einen Dichter und einen Maler aus, ersterer hat Sex mit der Tochter, letzterer mit den Dorfmädchen. Die Gräfin betont ihren immerwährenden Wunsch nach Konversation, und sie feuert diese Konversation gerne mit schwärzesten Zynismen und grundsätzlich politisch unkorrekten Sprüchen kräftig an. Immer daneben steht der junge dicke Alois, den der Schwiegersohn mitgebracht hat, denn der Junge schreibt düstere Gedichte, die er immer wieder im Stück verteilt vorlesen muss.
Peter Turrini hat ein sehr bösartiges und in seiner Bosheit auch amüsantes Stück geschrieben. Das ist wirklich unterhaltend und manchmal auch ein bisschen provokant, wäre dieses aber viel eher gewesen, wenn das Stück in der Zeit geschrieben worden wäre, in der es spielt. So wirken die homoerotischen Stellen oder die Selbstentblößung der Gräfin eher aufgesetzt, wie Provokation um der Provokation willen.
Das wirkt alles sehr nach Elfenbeinturm, was das Spectaculum 77 in Sachen modernes Theater so zusammenbringt. Kunstvolle Texte ohne wirkliche Aussage, Verklausuliertes, aber nichts, was ein Publikum anspricht, es an der Theaterkasse abholt, teilweise auch nicht wirklich für das Theater geschrieben, die Möglichkeiten des Theaters nicht wirklich genutzt. Das können die Autoren natürlich auch den Regisseuren überlassen, aber man spürt einfach die Liebe zum Theater nicht.