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 Märchen


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Das Wort Märchen ist eine Verkleinerungsform von des mittlerweile veralteten Substantivs der Mär, und bedeutet im heutigen Sprachgebrauch soviel wie kurze Erzählung sowie erfundene oder unwahre Geschichte. Märchen sind Kulturgut, nicht nur in unserem eigenen Kulturkreis, sondern weltweit. So ist es verwunderlich, dass erst jetzt mit Stefan Neuhaus’ Band "Märchen" eine Gattungsgeschichte vorliegt.


Schon im Vorwort bemüht sich Neuhaus um eine eindeutige Abgrenzung zu früheren wissenschaftlichen Betrachtungen der Gattung Märchen, darunter den populären Band von Max Lüthi aus der Sammlung Metzler oder Mathias Mayers und Jens Tismars Abhandlung über Kunstmärchen. Neuhaus geht es im Gegensatz zu seinen Vorgängern darum, die Gattung des Märchens als literaturwissenschaftliche Gattung zu festigen und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit ihr zu rechtfertigen. Sein Ziel ist es, mit diesem Band selbst eine kleine Gattungsgeschichte des Märchens vorzulegen.

Doch vor der Auseinandersetzung mit dem Märchen an sich steht die Definition, und so befasst sich das erste Kapitel mit den Merkmalen dieser Gattung sowie dem Begriff des Märchens. Wichtig ist hier vor allem die Unterscheidung zwischen den Subgattungen des Volksmärchens und des Kunstmärchens. Im letzten Punkt des Kapitels setzt sich Neuhaus schließlich mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Märchen, Fantastik und Fantasy auseinander. Ausgehend vom Genre der gothic novel beziehungsweise des Schauerromans schlägt der Autor die Brücke vom klassischen Märchenbegriff bis zur Fantasy eines J.R.R. Tolkien.

Im zweiten Kapitel setzt sich Neuhaus intensiv mit den Funktionen des Märchens auseinander. Gleich zu Beginn räumt er mit dem Mythos der mündlichen Tradierung in einer illiteralen Gesellschaft auf und entlarvt ihn als Konstrukt des 19. Jahrhunderts. Auch weitere "Volkskundliche Deutungsansätze" - so die Überschrift des ersten Punkts - werden von Neuhaus kritisch betrachtet, sodass er am Ende konstatiert, dass volkskundliche Untersuchungen zumeist den hermeneutischen Verstehensprozess außer acht lassen und somit zu zweifelhaften Kontextualisierungen kommen. Im zweiten Punkt widmet sich Neuhaus den "Sozialgeschichtlichen Deutungsansätzen", die vor allem von der von 1968 inspirierten Literaturwissenschaft dominiert wird. Weitere Punkte umfassen "Strukturale", Tiefenpsychologische" und "Psychoanalytische Deutungsansätze".

Nach dieser ausführlichen wissenschaftlichen Standpunktsbestimmung folgt der eigentliche Kern des Bandes. Insgesamt 38 Autoren bzw. Märchensammlungen hat Neuhaus ausgewählt, um an ihnen die Entwicklung der Gattung Märchen sowie deren Merkmale aufzuzeigen. Die Auswahl erfolgt in chronologischer Reihenfolge, beginnend bei den "Erzählungen aus Tausendundein Nächten", welche auf die Zeit zwischen dem achten und zehnten Jahrhundert datiert sind, und enden mit Cornelia Funkes Roman "Tintenherz" aus dem Jahr 2003. Neben den Märchen-"Klassikern" wie den Sammlungen der Gebrüder Grimm oder des Hans Christian Andersen sind die Kunstmärchen von E.T.A. Hoffmann und Oscar Wilde vertreten. Großer Raum wurde ebenfalls der Fantasyliteratur eingeräumt. Auch hier werden von Neuhaus sowohl Klassiker wie "Der Zauberer von Oz" oder "Peter Pan" behandelt, desweiteren "Die Chroniken von Narnia" aus dem Tolkienschen Autorenumfeld und stellvertretend für die Gegenwart "Harry Potter und der Stein der Weisen", "Artemis Fowl" und eben "Tintenherz". Aber auch Märchenparodien lässt Neuhaus nicht außer acht, wie man an dem Kapitel sehen kann, welches sich mit Hans Traxlers "Die Wahrheit über Hänsel und Gretel" befasst.


Neuhaus bietet mit dieser Auswahl einen gut durchdachten und relativ umfassenden Überblick über Märchen. Seine Ergebnisse sind nicht revolutionär zu nennen, doch leisten sie einen wichtigen Beitrag für das oft benachteiligte Genre. Er argumentiert schlüssig und ist bemüht, seine Argumente stets am Text zu begründen.

Wenn man sich auf literaturwissenschaftlicher Ebene mit dem Thema Märchen auseinandersetzt, kommt man an Stefan Neuhaus’ Band nicht vorbei. Ob man als Privatperson bereit ist, den hohen Preis für wissenschaftliche Fachliteratur zu entrichten, muss jeder für sich selbst entscheiden. Lohnenswert ist diese Anschaffung aber auf jeden Fall.

Markus Goedecke



Softcover | Erschienen: 01. Januar 2005 | ISBN: 9783825226930 | Preis: 19,90 Euro | 403 Seiten | Sprache: Deutsch

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