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 Das Auge des Zeus

Deutsche Geschichtsschreibung zwischen Dummheit und Demagogie. Antwort an meine Kritiker


Cover
Gesamt ++++-


Es war ein richtiger, kleiner Skandal in der historischen Zunft: der renommierte C.H. Beck Verlag lehnte 2005 den Druck eines Buchs mit dem Titel Eine kurze Geschichte der Demokratie von Luciano Canfora ab. Grund: es fänden sich zahlreiche sachliche Fehler in Canforas Niederschrift, der Autor habe skandalöse Äußerungen zum Hitler-Stalin-Pakt geäußert und vertrete insgesamt eine "stalinistische Stoßrichtung". Effekt: der Vertrag wurde nach Empfehlung einer Kommission unter dem Historiker Hans-Ulrich Wehler gekündigt, Canfora in etlichen deutschen Zeitungen herabgeputzt, und erst mit dem Einspringen des Papyrossa-Verlags konnte das Buch erscheinen.

Diese einmalige Vorgehensweise des Beck-Verlags - in anderen europäischen Ländern erschien das Buch ohne größeres Aufsehen - fiel allerdings schnell auf den Urheber zurück, als ruchbar wurde, dass die angeblichen Fehler Canforas größtenteils auf der fehlerhaften, nicht endlektorierten Übersetzung beruhten. Auch mit dem Stalinismusvorwurf war es nicht weit her, wie man bei der Lektüre des Buchs schnell erkannte. Canfora auf jeden Fall - der zurecht seinen Ruf bedroht sah - konterte mit dieser schmalen Schrift, die im linken konkret-Verlag erschien. "Das Auge des Zeus" ist eine wütende Antwort an seine Kritiker, allen voran an den Beck-Lektoren Detlef Felken, der die Ablehnung des Buchs erwirkte. Maliziös zeigt Canfora auf, wie Felken seine Schrift bewußt mißdeutet, wie die Übersetzung seine Aussagen ins Gegenteil verkehrt und wie mit Halbwahrheiten operiert wurde. Da wird aus "Hitlers aufhaltsamem Aufstieg" im deutschen Text "Hitlers unaufhaltsamer Aufstieg", es wird wahrheitswidrig behauptet, Canfora erwähne die Stalinschen Verbrechen nicht und schreibe keine einzige Zeile zu Alexis de Tocqueville, Jahreszahlen werden falsch datiert und Literaturverweise nicht berücksichtigt. Zeile für Zeile weist Canfora nach, dass es keineswegs einzelne Stellen waren, die den Beck-Verlag zu einer Ablehnung des Buchs bewegten, sondern die gesamte Stoßrichtung der "Kurzen Geschichte der Demokratie": zu links, zu idealistisch, zu eigenständig.

Canforas Replik ist bitterböse, höchst witzig und mit erkennbarer Wut verfaßt. Seine Gegenargumente sind - von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen - stichhaltig und stellen den Beck-Verlag, aber auch Hans-Ulrich Wehler, dessen Gutachten zu Canforas Verurteilung führte, ziemlich bloß. Wie hier mit hanebüchenen Methoden ein Buch abgeschossen wurde, das ideologisch von der Mittellinie - und dies nicht einmal besonders stark - abweicht, ist schon bemerkenswert und mitunter peinlich. Der Vorgang sagt viel über deutsche Geschichtsschreibung in unserem Jahrzehnt aus und läßt vor allem an der Qualität des Fachlektorats deutscher Verlage zweifeln. In Zukunft wird man übersetzte Bücher mit kritischerem Auge lesen müssen - und, so man vom Fach ist, um einen Blick ins Original nicht herumkommen. Auch das Verhalten der Medien, die Canforas Buch - ohne es je gelesen zu haben - verrissen, und dies allein aufgrund einer vom Beck-Verlag verbreiteten Fehlerliste - läßt tief blicken. Offenbar scheint man nicht in jeder Redaktion Bücher, die man rezensieren soll, so genau zu lesen wie bei Media-Mania.de. Sei’s drum: Dieses schmale Büchlein ist ein interessanter Beitrag zur Geschichte heutiger Geschichtsschreibung, und Canfora darf fortan nicht mehr allein als renommierter Altphilologe gelten, sondern auch als glänzender Polemiker, der sich traut, Dummheit und Demagogie beim Namen zu nennen.

Hagen Hoffmann



Taschenbuch | Erschienen: 01. Juni 2006 | ISBN: 9783930786503 | Preis: 10 Euro | 91 Seiten | Sprache: Deutsch

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