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Der kleine Unterschied sitzt eigentlich ein ganzes Stück oberhalb der Gürtellinie: im Gehirn. Darüber hinaus handelt es sich nicht um einen Unterschied, sondern um eine ganze Reihe davon. Durch das Zusammenspiel von verschiedenen Hormonen werden diese Unterschiede bereits in einem frühen Stadium der vorgeburtlichen Entwicklung festgelegt.
Während die gängigen Ratgeber zum oftmals von Kommunikationsproblemen überschatteten Verhältnis zwischen Männern und Frauen dazu tendieren, kulturelle Prägung als Hauptursache für die Verschiedenheit geschlechtsspezifischen Verhaltens auszudeuten, zeigt die Neurobiologin Louann Brizendine auf, dass überwiegend hormonelle Einflüsse auf die Bildung von Neuronenschaltkreisen im Gehirn dieses Verhalten bedingen. Und diese Einflüsse ändern sich im Leben einer Frau mehrmals massiv.
Die Autorin umreißt zunächst in der Einleitung die Unterschiede in der Gehirnstruktur von Frauen und Männern und deren Anlage lange vor der Geburt, die Rolle der hieran beteiligten Hormone sowie die Phasen im Leben einer Frau. Diese Phasen bilden auch den roten Faden der sich anschließenden Kapitel. Bereits das kleine Mädchen verhält sich in vielen Bereichen anders als der kleine Junge, es liest die Gefühle seines Gegenübers und koordiniert sein Verhalten damit. Mädchen kämpfen nicht gern physisch, doch sie wissen sich mit ihren eigenen Mitteln durchzusetzen.
Ein langes Kapitel mit reichlich Fallbeispielen aus der Praxis der Autorin beinhaltet die Pubertät, vor allem natürlich jene der Mädchen, die noch wesentlich mehr mit hormonellen Veränderungen zu kämpfen haben als Jungen. Von dort ist es ein kleiner Schritt zu den Themen Liebe und Vertrauen sowie Sexualität, die zwischen Männern und Frauen aufgrund der unterschiedlichen "Gehirnverdrahtung" sehr unterschiedlich aufgefasst und gelebt werden. Auch von hier gelingt der Autorin ein perfekter Übergang zum nächsten Kapitel: "Das Muttergehirn", das erläutert, wie von Schwangerschaft und Geburt an bestimmte Hormonmixturen die Bindung zum Baby und Kind herstellen und festigen, welche neurologischen Vorgänge sich beispielsweise beim Stillen abspielen, aber auch, welche Konflikte die Verbindung von Beruf und Mutterrolle auslösen kann - und wie man ihnen begegnen sollte.
Vor dem Kapitel über das Gehirn der reifen Frau - also während der Wechseljahre und danach -, das ebenfalls noch einmal tiefgehende Umwälzungen erfährt, wird das Thema "Emotionen" aufgegriffen, denn Frauen empfinden und äußern scheinbar gleiche Gefühle ganz anders als Männer, weshalb es zu den bereits erwähnten Kommunikationsproblemen kommt. Der Epilog schließlich befasst sich mit den Chancen, die das typisch Weibliche des Gehirns für die Fortentwicklung unserer Gesellschaft bieten kann. Mehrere Anhangskapitel fungieren als Ratgeber für wichtige Fragen: pro und contra Hormontherapie, "Wochenbettdepression", sexuelle Orientierung der Frau. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis schließt das Buch ab.
Die Autorin dieses Buchs ist sich der Tatsache bewusst, dass sie tendenziell gegen die "Political Correctness" verstößt, wenn sie erläutert, dass Frauen ein anderes Gehirn als Männer haben, eines, das zwar von denselben oder funktionsähnlichen Hormonen gesteuert wird, die jedoch in ganz unterschiedlichen Konzentrationen vorliegen - welche sich darüber hinaus im Verlauf des Zyklus und zusätzlich noch in verschiedenen Lebensphasen massiv ändern.
Trotzdem liegt es der Autorin fern, Frauen in irgendeiner Weise zu diskriminieren, im Gegenteil, sie hebt hervor, wie gut die unterschiedlichen "Verdrahtungen" des männlichen und weiblichen Gehirns an die jeweilige Geschlechterrolle in der Steinzeit angepasst waren, und welche Impulse sie der heutigen Gesellschaft geben können und sollten.
Zwar geht es in diesem Buch vor allem um das weibliche Gehirn und seine Besonderheiten, doch wird ihm stets das männliche gegenübergestellt. So fällt es der Leserin, oder vielleicht auch dem Leser, der zum "Frauenversteher" werden möchte, leicht, Verhaltens- und Empfindungsunterschiede zu begreifen und zu interpretieren. Mancher Frau wird es bei der Lektüre wie Schuppen von den Augen fallen: Die pubertierende Tochter wirkt nicht mehr wie ein Wesen von einem anderen Stern, und es verwundert nicht, dass deren kleine Schwester nicht mit Jungs spielen will. Die erwachsene Frau versteht plötzlich ihre Mutter, die nach den Wechseljahren scheinbar befremdliche Visionen zur Selbstverwirklichung entwickelt, und vor allem sich selbst: dass sie in einer Phase ihres Zyklus vor Aktivität und Kreativität sprüht, aber auch unter Umständen an anderen Tagen antriebsschwach und vielleicht aggressiv ist.
Und dass die Verständigung mit dem anderen Geschlecht zu manchen Zeiten und bezüglich mancher Themen überhaupt nicht klappt, woraus eigentlich vermeidbare Beziehungskrisen resultieren, lässt sich anhand des Buchs ebenfalls bestens nachvollziehen. Allerdings kennt die eine oder andere Frau dies vermutlich schon aus dem einen oder anderen Bestseller, wenn auch nicht unbedingt aus neurologischer Sicht.
Das ist das Besondere an diesem Buch: Es verdeutlicht die Funktion des Zusammenspiels der Hormone bei der Herstellung von neuronalen Schaltkreisen im Gehirn, die unser Verhalten bedingen - und stellt dies auf sehr gut verständliche und spannende Weise dar. Die vielen anschaulichen Fallbeispiele aus der Praxis der Autorin belegen, wie vielseitig und im Grunde alltäglich die Schwierigkeiten sind, die sich aus dem typisch weiblichen Wechselspiel der Hormone ergeben. Positiv fällt hier auch die um Objektivität bemühte Diskussion über Vorteile und mögliche gesundheitliche Folgen einer Hormonbehandlung in verschiedenen Lebensabschnitten auf. Das Buch ist logisch aufgebaut und enthält einige hilfreiche Skizzen und Übersichten, sodass man sich gut zurechtfindet und es vermutlich mehr als einmal hervorholt.
Somit handelt es sich bei diesem Buch um eine geglückte Mischung aus Sachbuch und Ratgeber zu einem wichtigen Thema. Es ist jeder Frau zu empfehlen, die sich für die Vorgänge in ihrem Körper und ihrer Psyche interessiert.