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"Die Zeit schreitet fort, während der Raum nur herumlungert." Mit diesem und anderen Zitaten diagnostiziert Markus Schroer die Raumvergessenheit in der Soziologie. Zugleich aber stellt er auch fest, dass diese Raumvergessenheit in den letzten Jahren durch zahlreiche Forschungen und Werke behoben wird.
Der Untertitel lässt vermuten, dass dieses Werk (wieder einmal) eine Raumsoziologie entwirft. Schroer geht allerdings einen anderen Weg. Er vergleicht zunächst Raumkonzeptionen in den Werken klassischer Soziologen. Zu diesen gehören Durkheim, Simmel, Bourdieu, Giddens und Luhmann.
Zuvor allerdings führt er in einem Überblick die beiden Arten, den Raum zu denken, vor. Dazu beruft er sich auf alte Quellen aus der Physik und Philosophie, von Aristoteles bis zu Kant. Schroer zeigt, dass das eine Raumkonzept den Raum als Behälter entwirft, dem das Individuum kaum etwas entgegenzusetzen hat, als es zu akzeptieren, während das andere Raumkonzept sich immer relativ zu dem Individuum konstituiert und so in dessen Verantwortlichkeit fällt.
Beide Raumkonzepte lassen sich bei den von Schroer ausgewählten Klassikern finden. Kritisch und zunächst sehr detailgenau entschlüsselt Schroer wesentliche Werke und stellt sie sehr präzise und argumentativ leicht nachvollziehbar dar. Den üblichen Staub von vergleichenden Analysen findet man hier nicht, sondern sehr viel Gespür für die Dramaturgie von Wissen, ohne den Erkenntnisgewinn je aus den Augen zu lassen. Leider macht Schroer nicht verständlich, warum er diese Klassiker ausgewählt hat und warum gerade diese Werke von diesen Klassikern. Es ist eine Sache, hier die expliziten Konzepte zum Raum darzustellen und zu kritisieren. Die andere Sache wäre, das implizite Raumverständnis in den Werken zu entschlüsseln. Gerade dies leistet aber Schroer nicht. Zudem verdeutlicht er nicht, von welcher Methode und welchem Begriffswerk aus er die Klassiker liest. So widersprechen sich beim zweiten und dritten Lesen verschiedene Argumentationen, und diese Missklänge hätte Schroer zumindest als aktuelle Forschungsprobleme herausstellen können.
Der zweite Teil stellt exemplarisch Raumkonzepte in der modernen Soziologie vor und erläutert aktuelle Problemzonen. Neben den politischen und urbanen Räumen bespricht er virtuelle Räume und Körperräume. Auch hier erweist sich der Autor zunächst als brillanter, dann aber zu oberflächlicher Schreiber. Auf der einen Seite liefert er, zu jedem dieser vier Themen, viel Geistreiches und zum Nachdenken Anregendes, auf der anderen Seite bleibt er aber mit der Tiefe seiner Analyse deutlich hinter einer umfassenden Behandlung zurück. Ein ausgearbeiteter Begriffsapparat hätte diesem Teil vielleicht seine sprachliche Brillanz genommen, aber auch ein Stück weit seinen Essayismus.
So bietet Schroer zwar einen hervorragenden, spannend und flüssig zu lesenden Einstieg in die Probleme der Raumsoziologie, kann aber insgesamt auch nicht mehr als einen Einstieg bieten. Nun sind solche Grenzen der Bearbeitung immer in ein Buch mit eingeschrieben und darum kein Fehler. Bücher sind immer "irgendwie" nur ein Einstieg. Kritisierbar ist hier lediglich, dass offene Fragen nicht mitthematisiert wurden. Dass sich Schroer dabei vor allem den Klassikern widmet, ist problematisch - denn es gibt in der Architektur, der Stadtplanung, der kognitiven Psychologie, nicht zuletzt in der Philosophie zahlreiche für die Raumsoziologie interessante Befunde, und das schon im 19. Jahrhundert. Ebenso problematisch ist die Darstellung vom Raumdenken in der expliziten Behandlung durch einen Klassiker. Dass Räume auch implizit mitgedacht werden, wenn es dem betreffenden Soziologen um ganz andere Themen geht, bleibt in dieser Untersuchung weitestgehend unbehandelt.
Die Mängel dieses Buches stoßen auch beim ersten Durchsehen der Kapitelüberschriften auf. Zwar finden sich zahlreiche Bezüge zum Raum, aber nur wenige zum Ort und zur Grenze. Zwei der drei im Buchtitel genannten Begriffe werden nur wenig und undeutlich behandelt.
Trotzdem empfehle ich dieses Buch. Wenn man akzeptiert, dass es nicht die Breite erreicht, die es im Titel verspricht, ist es von der Sprache und der Behandlung des Themas ein großes Vergnügen und lädt auf kluge Weise zum Selberentdecken und Weiterarbeiten ein. Und das ist schon sehr viel.