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Doris, genannt "Do", ihr Mann Oliver und ihre beiden Kinder sind eine Bilderbuchfamilie. Zumindest erwecken sie auf den ersten Blick diesen Eindruck, denn sie besitzen ein adrettes Eigenheim, Do und Oliver führen jeweils ihr eigenes Geschäft, in der Nachbarschaft haben sie gute Freunde, und die Kinder bereiten ihnen allenfalls altersübliche Probleme.
Unter der Oberfläche gärt es jedoch. Do ist vom Eheleben gelangweilt und verweigert sich ihrem Mann, der ihre Probleme nicht versteht und sich zurückgewiesen fühlt. Bei beiden bahnt sich eine erste Vorahnung der Midlife-Crisis an.
Zu diesem kritischen Zeitpunkt zieht ein Zauberer in ein von Le Corbusier inspiriertes Haus am Ende der Straße. Ob er wirklich ein Zauberer ist, lässt sich schwer sagen, doch es erweist sich, dass er Frauen verzaubern kann. Auch bleibt offen, ob er wirklich ein Enkel des berühmten Physikers und Frauenlieblings Erwin Schrödinger ist, wie er vorgibt. Da Do regelrecht in Balthasar Schrödinger vernarrt ist und Oliver, ohnehin frustriert und verunsichert, in seiner Eifersucht sehr heftig reagiert, wird der Riss in der Ehe immer tiefer.
Oliver begreift nicht, wie es dem Zauberer, der immer so überheblich mit seinem Wissen schwadroniert, gelingt, alle Frauen in seiner Nähe zu behexen. In seiner Verzweiflung erfindet er schließlich eine Geliebte, um Do wachzurütteln.
Es ist der Zauberer, der schließlich, wissentlich oder unwillkürlich, den Knoten zerschlägt und Do und Oliver ermöglicht, eine neue Perspektive zu erkennen und ein Programm für einen Neuanfang zu entwerfen.
Am Ende zeigt sich, dass sich auch unsere Welt so verhält wie Erwin Schrödingers Quantenwelt, die dieser anhand des berühmt gewordenen Beispiels der Katze in der Kiste erläuterte: Was sich in der Kiste abspielt, können wir nicht sehen, weshalb auch die unwahrscheinlichste Konstellation Wirklichkeit sein kann - und wenn wir die Kiste öffnen, wissen wir nicht, ob das, was wir sehen, die einzige Wirklichkeit ist.
Eine interessante Idee für einen Roman: Gedankengänge, Gefühle und Beziehungen unterschiedlicher Menschen interagieren, prallen zusammen, spalten sich voneinander ab und kollabieren wie Paralleluniversen in Schrödingers Quantenphysik. Dieses Buch sprüht vor Wissen und kühnen Analogien, und wer Freude an Literatur in einem sehr schönen, eleganten Stil und ausdrucksvoller Sprache hat, wird mit diesem Buch fündig.
Die Charaktere sind klar und authentisch gezeichnet, und der Autor weiß ihre allzu menschlichen Missverständnisse und Probleme humorvoll zu schildern, sodass der Leser sich nicht selten selbst in der einen oder anderen Episode wieder findet, insbesondere wenn er zur Altersgruppe der Protagonisten, sprich: zu den ungefähr Vierzigjährigen, zählt.
Die Handlung ist allerdings an vielen Stellen ziemlich langatmig geraten, dann zieht sich die Lektüre hin. Um dem Leser beispielsweise zu erläutern, wie sehr Oliver die ausufernden, auf Selbstbeweihräucherung abzielenden Monologe des Zauberers langweilen und auf die Nerven gehen, müsste der Autor diese Monologe nicht immer wieder zwingend in voller Länge aufdrängen - bisweilen fühlt der Leser einen ähnlichen Widerwillen wie Oliver, der sich allerdings eher gegen das Buch richtet. Auch irritiert der Umstand, dass Schrödingers Gedankenexperiment mit der Katze nicht, wie der Rest des Romans, aus der Perspektive eines der Protagonisten dargestellt wird, sondern losgelöst von der Handlung durch den Autor selbst, mitten im Roman; eigentlich ein Anfängerfehler, der einem erfahrenen Autor wie Woelk nicht passieren sollte. Zum Glück schließen sich an solche Passagen meistens gehaltvollere oder humorige Episoden an, sodass die Lektüre dann doch wieder lockt.
Wer originelle und ausgefallene Gedankenspiele mag und sich für einen Roman begeistern kann, dessen Handlung zwischen gelegentlichen Höhenflügen und humorvollen Einlagen träge vor sich hindümpelt, wird das Buch sicherlich positiver beurteilen. Immerhin greift es einige typische Lebenssituationen der rund Vierzigjährigen auf, die sich an die Illusion klammern, ihr Leben gemütlich und solide eingerichtet zu haben. Dennoch ist der Roman aufgrund der genannten Mängel nicht uneingeschränkt zu empfehlen.