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 Descent

Die Reise ins Dunkel


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Glück
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Spielregel
Strategie


Mal Hand hoch - wer kennt noch jene alten Brettspiele der Marke "HeroQuest" oder "Das Schwarze Auge"? Titel, in denen mehrere Spieler als Helden durch finstere Gewölbe ziehen, Monster bekämpfen und Schätze sammeln, während ein weiterer Spieler die Rolle des Bösen übernimmt und sie daran zu hindern sucht. Diese "Dungeon Crawling Games" genannten Spiele versuchten, das Prinzip der "Pen & Paper"-Rollenspiele der Marke AD&D auf die klassischen Brettspiele zu übertragen, dabei Fantasy-Flair und anschauliche Materialien zu kombinieren und sich auf die grundlegenden Mechanismen des Sammelns und Kämpfens zu konzentrieren, ohne das Rollenspielelement völlig außen vor zu lassen. Anfang der 90er-Jahre waren diese Spiele recht populär, jetzt erleben sie eine kleine Renaissance mit Titeln wie "Dungeons & Dragons", "Doom" oder eben "Descent".

Wer bereits "Doom - Das Brettspiel" aus dem Hause Fantasy Flight Games besitzt, braucht kein Auge mehr auf "Descent - Die Reise ins Dunkel" zu werfen, das Spiel verwendet fast die gleichen Regeln und wurde nur auf das Fantasy-Szenario angepasst. Gespielt wird in einer Runde eins von zehn Szenarios aus dem beiliegenden Questbuch, jedes mit seiner eigenen Story und seinem eigenen Ziel. Dabei übernimmt ein Spieler ganz klassisch die Rolle des bösen Overlords, der als Einziger Einblick in das Questbuch bekommt, das Szenario aufbaut, der alle Monster steuert und versucht, die Helden zu besiegen. Bis zu vier weitere Spieler übernehmen jeweils einen von insgesamt 20 Helden, die alle verschiedene Eigenschaften, Stärken und Schwächen haben, etwa in Nahkampf, Fernkampf und Magie.
Das Brett / Der Dungeon wird gemäß des Questbuchs aus den beiliegenden Raum- und Flurteilen zusammen gesteckt - dies ist die Fläche, auf der das Spiel stattfindet. In einer Runde können sich die Helden zusammen beraten, wer von ihnen zuerst ziehen und welche Aktionen durchführen soll. Helden können sich beispielsweise bewegen, angreifen, Türen und Truhen öffnen, Heiltränke trinken, in die Stadt gehen und einkaufen oder taktische Befehlsmarker legen, die es ihnen erlauben, zu rasten, zu zielen, auszuweichen oder zwischendurch anzugreifen. Hat jeder Held gezogen, ist der Overlord dran, der versucht, ihnen jede Menge Monster - von Tiermenschen über Skelette, Nagas, Oger, Riesen bis hin zu Drachen - auf den Hals zu hetzen und ihnen auf dem Weg zum Ziel des Szenarios so viel wie möglich zu schaden.
Die Helden dürfen sich dabei anfangs mit Waffen und Fertigkeiten ausrüsten, mit denen sie sich den Gefahren des Dungeons stellen. Dort finden sie dann jede Menge bessere Ausrüstung und Gold, mit dem sie diese erwerben können. Der Overlord dagegen sammelt Karten, die den Spielern in Form von neuen Monstern oder Fallen Unheil bringen. Er kann diese Karten für sogenannte Drohmarker abwerfen - seine Währung, die er zahlen muss, um die Karten ausspielen zu können und den Helden dadurch fiese Fallen und mehr Monster vor die Nase zu setzen.
Gekämpft wird mit Würfeln. Zunächst muss geguckt werden, ob eine Sichtlinie zwischen Held und Monster besteht, danach würfelt der Held mit verschiedenfarbigen Würfeln, je nachdem wie stark seine Waffe und wie hoch seine Fertigkeit in der entsprechenden Angriffsart ist. Die Würfel zeigen Zahlen an, die die Reichweite bestimmen, Herzen, die den Schaden angeben, und Energiesymbole, mit denen sich besondere Fähigkeiten einer Waffe aktivieren lassen, etwa mehr Schaden oder gar ein Explosionseffekt.
Stirbt ein Held, wird er in der Stadt wiederbelebt, aber die gesamte Gruppe verliert sogenannte Questmarker. Haben die Helden keine Questmarker mehr, ist das Spiel für sie verloren. Glücklicherweise können sie in Schatztruhen oder über die Aktivierung von Stadtportalen neue bekommen.

Gemäß der Möglichkeiten des Fantasy-Genres sind die Regeln von "Descent" recht umfangreich. Spieler können noch vergiftet oder betäubt werden, Monster haben verschiedenste Eigenschaften, vom Feueratem bis hin zum Rundumschlag, die Liste der Möglichkeiten ist recht groß. Dennoch muss man sich von diesem Spiel nicht abschrecken lassen, denn die wesentlichen Prinzipien sind relativ schnell gelernt. Am besten ist es, wenn der Overlord-Spieler die Regeln bereits kennt, dann kann er alle Helden quasi nebenbei in das Spiel einführen. Erst die Helden ausgesucht, dann die Startausrüstung gekauft, die erste Tür im Dungeon geöffnet und schon kann die fröhliche Monstermetzelei losgehen. Als Held kann man sich so sehr gut einfach in das Spiel hineinleben, als Overlord stehen freilich über 20 Seiten Regelstudium an. Nichtsdestotrotz ist das Prinzip mit den Bewegungspunkten und den Kampfwürfeln sehr einfach und sehr einleuchtend, kaum eine der ergänzenden Regeln sorgt für Schwierigkeiten, man muss sie halt nur immer wieder nachschlagen. Lediglich mit der Regel der Sichtlinie tut man sich eher schwer. Nicht immer kann man sagen, ob eine Linie von Feld zu Feld ohne Hindernisse durchgezogen werden kann, nicht immer hat man auch die Muße, dies nachzuprüfen.

Über den Regelfragen wird bei den Helden jedoch wahrscheinlich die Sammelsucht stehen, denn stets zieht man Schätze, die man findet, zufällig aus einem Kartenstapel, will man immer aufs Neue wissen, ob sich unter der nächsten Truhe nicht vielleicht doch eine bessere Waffe verbirgt als die, die man gerade hat. In seinem Zyklus aus Schätzesammeln und Monsterverdreschen erinnert "Descent" stark an erfolgreiche Computerspiele der Marke "Diablo", was angesichts einer videospielaffinen Zielgruppe sicherlich gar nicht so abwegig ist. Jedoch anstatt die Spieler alleine vor dem Rechner sitzen zu lassen, bietet "Descent" eine überraschend hohe und sehr erfreuliche kommunikative Komponente. Da die Zugreihenfolge der Helden nicht festgelegt ist, entstehen jede Runde neue, angeregte Absprachen darüber, wie man vorgehen und welche Gegner man zuerst ausschalten sollte, wer jetzt einen Heiltrank nehmen muss, oder ob es sich lohnt, Ausdauer auszugeben, um diese Truhe dort jetzt noch öffnen zu können. Man befindet sich eigentlich ständig im Austausch darüber, was jetzt als Nächstes zu tun ist. Lediglich der Overlord-Spieler sieht sich davon ein wenig ausgegrenzt - ihn zu spielen ist auch beileibe nicht so interessant, fällt doch der ganze Teil des Schätzesammelns für ihn völlig weg. Dies war schon immer eine Schwachstelle der Dungeon Crawling Games, und diese wurde auch hier nicht behoben. Nichtsdestotrotz ist auch sein Zugsystem mit den Drohmarkern und den ständigen Entscheidungen, welche Karten man besser abwirft, um an die begehrte Währung des Bösen heranzukommen, ganz gut gelungen.

Über all den Diskussionen verliert man jedoch eines ganz schnell aus dem Blickfeld: die Zeit! Schnell vergehen mehrere Stunden angeregten Spielens, ohne dass man es bemerkt. Das Problem dabei: Sobald es einem auffällt, ist das Spiel noch lange nicht rum. Der Verlag gibt eine Spielzeit von zwei bis vier Stunden an. Dies wird zum einen durch das Szenario, zum anderen durch die Anzahl der Spieler variiert. Bei der ersten richtigen Partie mit voller Besetzung von fünf Spielern und dem eher kleinen Startszenario war unsere Testgruppe nach fünf Stunden immer noch nicht fertig und musste abbrechen. Ungefähr vier Stunden lang hatte man sehr viel Spaß mit dem Spiel, doch dann ging es in eine Phase, bei der man sich dachte, dass es jetzt doch langsam mal zuende sein könnte. Eine weitere Testpartie mit nur zwei Spielern konnte auch nicht in unter vier Stunden beendet werden - wie wird das wohl erst bei größeren Szenarios aussehen?
Die Balance neigt sich nach dem Grundregelbuch deutlich zu Gunsten der Helden, die das Anfangsszenario locker beenden können, ohne dass einer von ihnen auch nur ein einziges Mal sterben muss. Deswegen sei empfohlen, sich unbedingt die deutsche FAQ auf der Seite des Heidelberger Spielverlags anzusehen, die einige wichtige Regeländerungen und Klarstellung beinhaltet, was die Reise ins Dunkel für die Helden um Einiges schwieriger macht. Dem Heidelberger Spielverlag gebührt übrigens großes Lob für die Implementierung eines eigenen Zusatzblattes mit interessanten optionalen Regeln und einem weiteren, großen Szenario in die Originalschachtel!

Kommen wir zum Schluss noch zum eigentlichen Sahnehäubchen des Spiels, der Ausstattung. "Descent" betreibt in dieser Hinsicht fast schon Völlerei, was sich auch im Preis niederschlägt: 80 schön gestaltete Monster aus Kunststoff sind in der riesigen Spielepackung, die jeden normalen Rucksack sprengt, enthalten, von den daumengroßen Tiermenschen bis zu den gewaltigen Drachen und Riesen, die so auch problemlos aus einem Tabletop-Spiel stammen könnten. Dazu gibt es jeden der 20 Helden liebevoll als Figur modelliert. Der echte Overkill kommt jedoch bei all den enhaltenen Platten und Plättchen, Markern und Markierungen, die ungefähr eine Dreiviertelstunde Zeit benötigen, nur um ausgestanzt zu werden, wenn man alleine ist. Dennoch sind sie alle schön bunt und gut voneinander unterscheidbar gestaltet worden. Sehr gut auch das Stecksystem der Räume und Flure, so ist es möglich, sich auch über die enthaltenen Szenarien des Questbuchs hinaus noch viele eigene auszudenken. Abgerundet wird das von über 100 Karten, die die Fähigkeiten, Overlordaktionen, Monster und Gegenstände repräsentieren, letztere beide immer noch mit schönen Bildern dazu.

Wenn man "Descent" auspackt und den Leuten die Spielkomponenten zeigt, werden selbst Spielemuffel schnell in den Bann dieses Titels gezogen, ist schon bald die erste Tür geöffnet, der erste Kampf bestritten. Für Fantasy-Fans ist "Descent" daher eine echte Offenbarung und eine schöne Alternative zum klassischen Pen & Paper-Rollenspiel. Die größte und absolut nicht zu verachtende Schwachstelle des Spiels ist jedoch die enorme Spieldauer, bei der man locker vier Stunden oder mehr veranschlagen muss und bei der das Ende einer Runde sich leider ein wenig dahin zieht. Aber bis zu diesem Punkt hat man wirklich eine Menge Spaß gehabt bei einem taktisch fordernden Dungeon Crawling Game. Wem lange Partien nicht ausmachen, dem sei "Descent" mit der Höchstwertung wärmstens empfohlen.

Julius Kündiger



Brettspiel | Erschienen: 01. September 2006 | FSK: 12 | Originaltitel: Descent - Journeys through the Dark | Preis: 60 Euro

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