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Die fünfzehnjährige Franky hat eigentlich drei Namen: Francesca ist ihr "richtiger Name", und so nennen ihre Eltern sie. Sie selbst hingegen möchte lieber Franky genannt werden. Und dann ist da noch Freaky Green Eyes, Frankys Alter Ego. Als Franky auf einer Party fast vergewaltigt wird, wird sie von Freaky, der starken Person in ihrem Inneren, gerettet - denn Freaky weiß meistens, was zu tun ist, sie spricht Dinge aus, die Franky nie sagen würde, zum Beispiel ihren Eltern gegenüber. Mit denen scheint in letzter Zeit einiges nicht zu stimmen: Immer offensichtlicher wird die Kritik von Reid Pierson, einem berühmten und im ganzen Land beliebten Sportreporter, an seiner Frau Krista.
Reid ist besitzergreifend und aufbrausend, aber er kann auch nett sein, Zärtlichkeiten und Belohnungen verteilen - wenn alles nach seinem Willen läuft. Franky verachtet ihre Mutter dafür, dass sie schwach ist und versteht nicht, warum Krista den jähzornigen Vater immer weiter provoziert. Dass ihre Mutter immer häufiger Halstücher und langärmlige Oberteile trägt, so als wollte sie Spuren von Schlägen verdecken, registriert Franky - sie lässt es aber nicht an sich heran.
Als die Mutter sich schließlich tagelang in ihr Sommerhaus fern der Familie zurückzieht, um Reid aus dem Weg zu gehen, wächst bei Franky und ihrer zehnjährigen Schwester Samantha das Gefühl, dass ihre Mutter sie im Stich lässt. Die beiden stehen auf der Seite des Vaters, der Schwäche hasst und Stärke mit Zuneigung belohnt. Dass Franky süchtig nach der Liebe ihres Vaters ist und dass sie vieles, was hinter verschlossenen Türen in ihrer Familie passiert, lange verdrängt hat, bemerkt sie erst, als es zu spät ist: Nach einer Eskalation verschwinden Frankys Mutter, ein guter Freund von ihr und der Familienhund Rabbit spurlos. Die Polizei vermutet ein Verbrechen, denn im Sommerhaus wurden Blutspuren gefunden. Jetzt muss Franky der Wahrheit ins Auge blicken und erkennen, dass manche Geheimnisse nicht in der Familie bleiben dürfen
"Mit offenen Augen" ist ein brisanter und mitreißender Jugendroman von Joyce Carol Oates. Mit jeder weiteren Seite, die man umblättert, wächst die unheilvolle Stimmung und bröckelt die Fassade der gutsituierten, prominenten Familie. Franky sieht sich in einem gewaltigen Loyalitätskonflikt zwischen ihren Eltern hin- und hergerissen. Der charismatische Reid Pierson weiß, wie er seine beiden Töchter für sich einnehmen kann - trotzdem fürchten sie ihn. Und eine Familie hält doch zusammen, oder? Die Autorin zeigt den mühsamen Weg, den die fünfzehnjährige Franky zurück legen muss, bis sie endlich stark genug ist, sich gegen das Unrecht in ihrer Familie aufzulehnen - auch wenn sie sich dabei fühlt, als würde sie ihre eigenen Familienmitglieder verraten. Dabei thematisiert Oates eine ganze Reihe von brisanten Problemen: Gewalt in der Familie, Zurückweisung, das Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung, emotionale Abhängigkeit und Schuld. Der Leser ahnt schon früh, dass mit Reid Piersons Verhalten etwas nicht stimmt, und er leidet mit Franky, die zwar ebenfalls die Wahrheit kennt, ihr aber zunächst nicht ins Gesicht blicken kann, aus Angst die Familie zu zerstören.
Ein spannendes, anspruchsvolles und teils sehr bedrückendes Familiendrama für Jugendliche ab vierzehn Jahren, das sich durch seine Form - teilweise sind Passagen in Form von Tagebucheinträgen oder Verhörprotokollen wiedergegeben - leicht und unterhaltsam lesen lässt.