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In ihrem Roman "Der König der purpurnen Stadt" entführt uns die deutsche Autorin Rebecca Gablé in das London des frühen 14. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der Erzählung steht der elternlose Jonah Durham, der vom Lehrling seines tyrannischen Cousins aufsteigt bis zum höchsten Amt, das die Stadt zu bieten hat.
Die Stationen, die Jonah auf diesem beschwerlichen und aufregenden Weg zurücklegt, sind mannigfaltig: Mit Geschick und Ehrgeiz, vor allem aber mit viel Glück wird Jonah zum jüngsten Mitglied der ehrwürdigen Londoner Tuchhändler-Gilde aller Zeiten. Als findiger Kaufmann eröffnet er mit gerade einmal achtzehn Jahren sein eigenes Geschäft, wobei ihm ein Erbe seiner verstorbenen Großmutter als Startkapital für den Handel mit Stoffen und edlen Tuchen dient. Doch das Erbe sorgt für Neider - Jonah wird beinahe das Opfer eines heimtückischen Mordanschlages, und niemand anderes als der junge Edward, der König von England, rettet ihm das Leben. So erhält Jonah Einzug in den Kreis der Adligen und wird ein enger Vertrauter der Königin Philippa, in die er sich insgeheim unsterblich verliebt. Nach einer weiteren Bewährungsprobe wird Jonah zum Ritter der Königin geschlagen - und es geht weiter bergauf mit seiner Karriere. Jonah muss herbe Rückschläge einstecken, muss bösartige Anfeindungen und Intrigen meistern und nebenbei das politische Geschäft des Königshofes mit seinem kaufmännischen Geschick unterstützen. Doch wer so hoch hinaus will, macht sich mächtige Feinde ...
Ein Roman von knapp eintausend Seiten Länge birgt stets die Gefahr, ausufernd, langweilig und damit nichtssagend zu werden, vor allem, wenn es sich um einen historischen Roman handelt. "Der König der purpurnen Stadt" besitzt diese Schwäche nicht und ist einfach wunderbar, spannend und auf seinen vollen 960 Seiten unterhaltsam und erstaunlich. Der Tuchhändler Jonah ist keine Romanfigur, die man auf Anhieb gern hat. Er ist finster, beherrscht und scheint bisweilen ein Herz aus Stein zu besitzen. Was diesen Roman so fantastisch und liebenswert macht, sind die sorgsam ausgearbeiteten Nebenfiguren, die durch den gesamten Roman hindurch große Rollen spielen. Sie alle üben starken Einfluss auf Jonah und damit auf die Handlung aus. Viele Charaktere sind historisch reale Figuren - etwa der ungestüme König von England, seine schöne und kluge Frau Philippa von Hainault, der skrupellose Kaufmann William de la Pole oder König Edwards ältester Sohn, der als "Der schwarze Prinz" bekannt wurde. Andere Figuren, wie Jonah selbst, sind fiktiv, aber nicht weniger authentisch: die Hure Annot, die vom verzweifelten und geschändeten Mädchen zur klugen Geschäftsfrau und treibenden Kraft des Romans avanciert, Jonahs bezaubernder Gehilfe Crispin, sein trunksüchtiger Lehrmeister Rupert Hillock - sie alle sind so genau charakterisiert, so liebevoll und detailliert gezeichnet, dass man trotz der Fülle an handelnden Figuren jede von ihnen genau zu kennen glaubt.
Historisch eingebettet ist die Handlung in die Geschehnisse, die zum Aufstieg von König Edward III. und zum Hundertjährigen Krieg führten. Der Krieg gegen Frankreich, die parallel stattfindenden kriegerischen Auseinandersetzungen mit Schottland und die zahlreichen Bündnisse, die geschlossen wurden, werden hier genauestens wiedergegeben. Auch die große Pest 1348/49, die die Bevölkerung Europas nahezu halbierte, ist spannender Teil der Erzählung. Die Handlung konzentriert sich nicht nur auf die damaligen Machtverhältnisse, die politischen und wirtschaftlichen Ereignisse, die England und die ganze Welt entscheidend prägten, sondern liefert auch ein exaktes Sittengemälde der damaligen Zeit ab. Als roter Faden des Buches ist die Stellung der Frauen im 14. Jahrhundert zu bezeichnen. Es gibt keine Frauenfigur in diesem Roman, die nicht in irgendeiner Form benachteiligt, betrogen, vergewaltigt oder ausgenutzt wird. Der Leser wird über neunhundert Seiten lang damit konfrontiert, wie verheiratete Männer in Hurenhäusern selbstverständlich ein und ausgehen, wie Frauen gegen ihren Willen verheiratet, ja geradezu verschachert werden, wie sie von der Kirche selbst für den erlittenen Missbrauch schuldig gesprochen werden - beim heutigen Rollenverständnis nicht mehr denkbar. Dabei wird Gablé aber nie übertrieben moralisch, sie erhebt nicht den Zeigefinger gegen die von Männern beherrschte Welt, sondern zeigt nur, was Tatsache war und was wohl jeder Frau, die in jenen Jahren in London lebte, passierte. Trotz ihrer schwierigen Position wissen viele Frauenfiguren in "Der König der purpurnen Stadt" mit Schlauheit und Umsicht ihre eigenen Machtpositionen auszubauen und Einfluss zu nehmen auf Politik und Gesellschaft.
Fazit: "Der König der purpurnen Stadt" ist ein durch und durch fesselnder historischer Roman, den man trotz seiner beachtlichen Länge kaum aus der Hand legen mag. Vor allem die fein gezeichneten Charaktere machen das Buch zu einem Lesegenuss. Zudem ist das Preis-Leistungsverhältnis beim Taschenbuch einfach unschlagbar.