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 Angstblüte

Autoren: Martin Walser
Verlag: Rowohlt Tb

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Karl von Kahn, siebzigjährig und Anlageberater, ist die Hauptfigur in diesem Roman von Martin Walser. Von Kahn gibt den Regisseur sich dramatisch verändernder Geldströme, webt Lebensklugheiten hinein, wo es passt, und ästhetische Gebrauchswerte, wo es klug ist. Mit einem Wort: von Kahn ist ein zynischer Mensch, der von seinem Zynismus nichts weiß.
Von Kahn hat durchaus großen Erfolg. Die Vermehrung des Geldes ist seine große Leidenschaft. An seiner Seite steht Helen, eine kluge Frau, die - als Paartherapeutin - die Rettung von Ehen zu ihrer Lebensaufgabe und Leidenschaft gemacht hat. Und doch: der beste Freund - Diego - wird krank, scheint zu sterben, und erfindet dies doch nur, um finanzielle Vorteile, auch gegenüber von Kahn, zu erlangen. Der geliebte Bruder Erewein begeht Selbstmord. Von Kahn verliebt sich in die junge Schauspielerin Joni, macht sich zum Geck und verliert sie wieder an einen jüngeren Mann.

Es ist nicht alleine die spannende Handlung, die Walsers Roman groß macht. Würde man die Handlung einfach heruntererzählen, müsste man es sogar für recht langweilig halten. Es sind Sprache und Erzählweise, die in diesem Buch so faszinieren. Die Sprache ist so treffend und reich, melodiös vom ersten bis zum letzten Satz, dass man gerne irgendetwas lesen würde, solange es nur in dieser Sprache geschrieben ist. Und die Erzählweise, die sich in die Menschen einfühlt, in ihre Gesten, ihre Beziehungen und ihre Hintergedanken, distanziert sich zugleich und beleuchtet schonungslos. Die Machtmenschen - jene aus der Welt der Hochfinanzen, jene aus der Medienwelt und all jene, die die Schönen und Reichen mit ihren Diensten versorgen -, so liest sich das Buch durchgehend, werden verstanden, aber nicht akzeptiert. Walser ist mit höchster Sensibilität zynisch.
Der Autor verschränkt die Angst vor Vergänglichkeit mit der Dramatik der Finanzströme, setzt sie zueinander in Bezug, ja in innigste Verbindung und doch auch in allerschärfsten Kontrast. Die widersprüchliche Verbindung wird durch eine Metapher dargestellt: die Angstblüte. Die Angstblüte ist das Austreiben von Blüten, wenn ein Baum eigentlich schon am Absterben ist; dies - hier mehr Allegorie als Metapher - erfasst alle Menschen, denen von Kahn begegnet. Dies erfasst ihn selbst. Die Angstblüte ist ein Krisensymptom und ein (Er-)Lebenskonzept.
Walser gehört zu den großen deutschen Autoren. Schriftstellerisch brillant spürt er Unrast und Unrat in der deutschen Gesellschaft auf. Er ist vergnüglich und bitter, aufklärend und doch so zurückgenommen, dass man sich keiner Moral und keinem Moralisieren ausgesetzt fühlt. Einfach hervorragend.

Frederik Weitz



Hardcover | Erschienen: 01. Juli 2006 | ISBN: 3498073575 | Preis: 22,90 Euro | 528 Seiten | Sprache: Deutsch

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