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Georg von Heuken ist zweiundfünfzig Jahre alt und Leiter eines Verlags. Der Konzern wird immer noch von seinem übermächtigen Vater dominiert. Georgs jüngerer Bruder ist ein Schulbuch-Verlag in Stuttgart anvertraut worden und seine Schwester ist ebenso Leiterin eines eigenständigen Verlags. Doch die wohlgeordnete, in Routine erstarrte Welt Georgs ist erschüttert. Sein Vater, rüstig, vital, viril hat völlig unerwartet einen schweren Herzinfarkt erlitten und liegt auf der Intensivstation.
Plötzlich ist die Führung des gesamten weitverzweigten Konzerns vakant. Die verstorbene Mutter hat zu Georgs Überraschung ihn favorisiert und dies in einem langen Testaments-Vorschlag erläutert. Der Vater aber will die Entscheidung in die Hände seiner drei Kinder legen. Er will nicht entscheiden und die anderen beiden enttäuschen. Jeder hat seine Vorzüge, jeder traut sich die Leitung zu. Das sehr komplizierte Testament des Vaters sieht vor, dass sich die Geschwister einigen und gemeinsam einen von ihnen zum Konzernlenker auswählen, die beiden anderen erhalten eineinhalb Millionen Euro und führen in Zukunft nur noch ihren eigenen Verlag.
In dieser Situation bemerkt Georg seine innere Leere und Erstarrung. Wider Erwarten und zum Erstaunen seiner Umwelt, beginnt er voller Entschlusskraft und Vitalität diese Routine zu durchbrechen. Er ordnet sein Privatleben neu, will Risiken eingehen und nimmt den Kampf um die Konzernleitung als einmalig Chance an, sich selbst neu zu erfinden.
Hanns-Josef Ortheil, bekannt geworden mit Romanen wie "Fermer", "Agenten", "Blauer Weg", "Faustinas Küsse", "Im Licht der Lagune", "Die Nacht des Don Juan", "Lo und Lu" und "Die große Liebe", legte 2003 mit "Die geheimen Stunden der Nacht" einen Roman vor, der sich mit dem Innenleben eines Konzernerben im Verlagsgewerbe auseinandersetzt. Bis ins kleinste Detail werden äußerst objektiv Gedanken, Beobachtungen und Geschehnisse aufgereiht, die in ihrer Gänze ein komplexes Bild einer Stadt, eines Konzerns, des Gründers dieses Konzerns und seines ältesten Sohnes ergeben.
Die unglaubliche Fülle an Details ist die Stärke dieses Autors. Er versteht es, daraus ein interessantes und glaubwürdiges Gesamtbild zu machen. Ihm gelingt die Innenansicht der Hauptperson Georg von Heuken so umfassend und klar, dass man versucht ist, in dem Roman eine Autobiografie oder einen Tagebuchroman zu sehen. Dieser glasklare Realismus spiegelt sich in seinen Sätzen, der Kapitelstruktur und dem Aufbau des gesamten Romans wieder. Die Entwicklung, die der Charakter der Hauptperson nimmt, seine offenen und ehrlichen Ansichten über seine Geschwister und seinen im Sterben liegenden Vater fesseln und faszinieren.
Leider ist dieser Roman wenig spannend. Er entwickelt sich zu langsam und offenbart zu zögerlich seine Strukturen. Erst zum Ende hin, wenn man den Aufbau, das entstehende Gesamtbild und die Charakterstudie vollends versteht, befriedigt dieses Buch. Es braucht Langmut, Ausdauer und Nerven, um dahin zu gelangen. Diese Hürde wird kaum niedriger durch den Sprecher Dietmar Bär. Der als Tatortkommissar berühmt gewordene Schauspieler ist oft zu betulich, zu ruhig, zu wenig akzentuiert, um den Hörer wirklich zu fesseln.
Dieses Hörbuch ist eine gekürzte Fassung des wundervollen Romans von Ortheil. Die Kürzungen sind verschmerzbar, denn etwas mehr Stringenz und Kürze kann diesem manchmal etwas langatmigen Roman nur gut tun. Lässt man sich aber auf den ruhigen Erzählton ein, folgt man den Gedankengängen, inneren Nöten und Hoffnungen des Protagonisten, wird man mit einer einzigartigen Charakterisierung eines sehr interessanten Mannes belohnt. Dieses Hörbuch entfaltet seine Qualitäten nur sehr langsam, ist aber in seiner Gänze betrachtet eine sehr gelungene Produktion.