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 Gewalt in der Schule

... und wie du dich dagegen wehren kannst

Autoren: Helmut H. Erb
Verlag: Ueberreuter

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis


Gewalt an Schulen ist ein politisches Dauerthema. Darüber wird viel diskutiert und geschrieben, Schuldzuweisungen werden gemacht und Pläne geschmiedet, die dann meistens in Schubladen verschwinden. Die Schüler an Deutschlands Schulen haben wenig davon und wissen häufig nicht, wie sie Gewalt begegnen sollen, ob sie nun Opfer sind oder Zeugen.
Mit diesem Buch erhalten potentielle und tatsächliche Opfer von Gewalt, aber auch mittelbar Betroffene, die nicht wegsehen wollen und wissen möchten, wie sie Übergriffe an ihrer Schule unterbinden können, pragmatische Hilfen.
Zunächst stellt der Autor die Situation ganz ungeschönt dar. Er zeigt die unterschiedlichen Formen von Gewalt auf, zu denen beispielsweise auch Gewalt gegen Sachen gehört, und weist auf die zunehmende Brutalität von tätlichen Auseinandersetzungen hin.
Anschließend kann sich der Leser über die Ursachen dieser Entwicklung informieren, die teilweise in unserer biologischen Natur liegen, der unser moderner Lebensstil zum Teil intensiv widerspricht (etwa der Mangel an Rückzugsmöglichkeiten in modernen "Gettos" und die fehlende Bewegung, woraus in unserem Gehirn Stress entsteht), der aber auch das Fernsehen sehr zuträglich ist, zum Beispiel, indem es überzogene Konsumwünsche weckt und die Realität verzerrt, und die, was lange aufgrund falsch verstandener politischer Korrektheit verschwiegen wurde, auch mit der fehlenden Integration von Menschen mit Migrantenhintergrund zu tun hat. Der Autor leitet seine Schlüsse logisch und für ältere Kinder und Jugendliche gut nachvollziehbar her.
Der Hauptteil des Buchs ist der Praxis gewidmet. Schüler erfahren einerseits, wie sie ein Kollektiv mobilisieren und ihre Schule schöner gestalten, sich selbst eine Schulordnung geben, in die auch Strafen für Missachtung der Regeln eingebunden sind, und Achtsamkeit und Anerkennung lernen und lehren können, die zu einem gewaltfreien Umgang gehören.
In einem Abschnitt des Buchs geht es um bedrohliche Situationen im Alltag. Sexuelle Übergriffe, Ausraster aufgrund von Alkohol und Drogen, Telefonterror und Stalking: Die Leser lernen, wie es zu solchen Situationen kommt und wie sie sich vermeiden lassen - selbstverständlich auch, wie man sich in der skizzierten misslichen Lage verhalten sollte.
Dies wird im letzten Teil des Buchs besonders gründlich thematisiert, in dem der Autor aufzeigt, wie man Zivilcourage erlernen kann, wann diese nicht angesagt ist, was Selbstverteidigungskurse nützen (oder auch nicht, ebenso wie Waffen zur Verteidigung) und vor allem, dass Selbstvertrauen und -bewusstsein im Umgang mit Anmache und Gewalt die wichtigste Verteidigung sind, und wie man sich diese erarbeiten kann.
Im Anhang finden sich einige wichtige Adressen zum Thema.

An diesem Ratgeber fällt zunächst besonders auf, wie ernst der Autor seine Leser nimmt. Er kommt nicht altklug daher, sondern gibt ihnen den Eindruck, ihre Probleme genau zu kennen, was aufgrund seiner beruflichen Erfahrung in der Tat der Fall ist. Auch erklärt er ihnen, dass es nicht ihre Generation ist, der die fatale Tendenz zu immer größerer Brutalität anzukreiden ist. Und da viele Probleme etwas an Tragweite verlieren, wenn man ihre Ursachen kennt, gehört es zu den großen Vorzügen des Buchs, dass der Autor die biologischen, soziologischen und psychosozialen, teils auch wirtschaftlichen Gründe für die zunehmend eskalierende Gewalt unter Jugendlichen erläutert - sehr gut auf die Wahrnehmung der Zielgruppe zugeschnitten. Ohne die abwiegelnden politischen Floskeln ergibt sich hier ein ziemlich düsteres, aber keineswegs hoffnungsloses Bild.
Der Realismus des Autors zeigt sich auch im Kapitel über Alkohol und Drogen. Wie er schreibt, sind seine Leser durch den Schulunterricht, vermutlich auch durch die Eltern und Medien darüber informiert, dass Alkohol und andere Drogen schaden. Da trotzdem zahlreiche Jugendliche entweder selbst mit Drogen zu tun haben oder beispielsweise auf Partys und in der Disko mit zugedröhnten Konsumenten zusammentreffen, erhalten die Leser des Buchs Ratschläge, wie man die schädlichen Folgen des Drogenkonsums begrenzen kann, und wie man sich verhalten sollte, wenn unter Drogen stehende Freunde zusammenklappen.
Die Anweisungen des Autors zur Mediation und zur Organisation gegen Gewalt in Schulen sind klar gefasst und funktionieren in der Praxis, wie einige Beispiele gezeigt haben. Auch andere Hinweise, etwa auf Personen und Organisationen, von denen Hilfe eingefordert werden kann, orientieren sich an der modernen Gesellschaft, in der Jugendliche und Kinder weder von ihren Eltern noch von Lehrern in allen Fällen Unterstützung erwarten können.
Trotzdem propagiert der Autor körperliche Auseinandersetzungen vor allem unter jüngeren Jungen, zu deren natürlichem Verhalten Rangeleien gehören - aber eben im Rahmen von sportlichen Raufereien, die es den Kindern ermöglichen zu erkennen, dass Grobheiten weh tun - durch den Konsum von Gewalt im Fernsehen lässt sich das nun einmal nicht verinnerlichen - und deshalb nicht zum Verhaltensrepertoire gehören sollten.
Mit dem Thema Sexualität geht der Autor ebenfalls sehr pragmatisch, aber ausreichend einfühlsam um; auch macht er es sich zur Aufgabe, die typischen Fehlinterpretationen von Verhaltensweisen Angehöriger des jeweils anderen Geschlechts zu erläutern, damit Jungen und Mädchen einander besser verstehen und sich Konfliktsituationen aufgrund solcher Missverständnisse vermeiden lassen.
Einen Stern muss man leider doch abziehen, weil sich einige inhaltliche Ungenauigkeiten in die Darstellung des theoretischen Hintergrundes eingeschlichen haben, so wird etwa die aktuelle Weltbevölkerung mit acht Milliarden - statt 6,6 Milliarden - beziffert.
Insgesamt aber handelt es sich um einen bemerkenswert guten, praxistauglichen Ratgeber, der eigentlich Pflichtlektüre an europäischen Schulen sein sollte.

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 01. Januar 2007 | ISBN: 9783800052943 | Preis: 10,95 Euro | 128 Seiten | Sprache: Deutsch

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