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 Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik: Der ewig dunkle Traum


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Humor
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung


Immer wieder hat man zu verschiedenen Zeiten versucht, Sinngebungen vorzunehmen. Phänomene, Vorgänge, die uns im täglichen Leben begegnen, zu deuten, sie in einen Zusammenhang zu bringen. So wird die Welt besonders in der christlichen Tradition des Barock als stürmische See gesehen, als Ort der ’Bewährung’ für den einzelnen. Am Ende steht nach vielen Widrigkeiten die Einfahrt in den ’Hafen’. Eine Belohnung für die Mühen liegt möglicherweise im Jenseits. Angenommen wird eine höhere Gerechtigkeit.

Nichts davon in den ’Schattenwelten’, wie sie als Folie für die Geschichten in der Anthologie ’Der ewig dunkle Traum’ dienen. In dieser Welt fühlen sich Wesen wohl, die Freude am Töten anderer haben: Vampire. Es ist eine Welt, in der Grauen, Horror, Not vorherrscht.

Not? Weniger im materiellen als im existentiellen Sinn.

Die Protagonisten leben häufig in ’besseren’ Kreisen. Mit Vorliebe in Adelskreisen. Im ’Das Nachtbuch’ (Eddie M. Angerhuber) wird ’roter Wein’ im Licht der Kerzen serviert. In ’Schattenchronik - der ewig dunkle Traum’ (Wolfgang Hohlbein) steht das Haus Dilaras in vornehmer Gegend, bei Marc Alaster E.-E. handelt es sich bei der Protagonistin um eine Königin. Mumien-Auswickel-Partys in ’Schattentrinker’ (Linda Budinger) können nur in exzentrischen Kreisen stattfinden, die sich um den Überlebenskampf nicht zu kümmern brauchen etc.

Die Sprache passt sich diesen Gegebenheiten an. Keine Experimente, selten abgebrochene Satzteile. In der Regel fließen die Sätze in ’altem’ Stil. Auch die traditionelle Rechtschreibung, überhaupt die äußere Gestaltung, alles passt sich der vornehm-düsteren Welt, in der Vampire agieren, an.

Variiert werden die typischen Vampirmotive: Blut saugende Untote, die Jagd machen auf Menschen - meist sehr junge Mädchen. Gelegentlich erfolgt eine Umwandlung von Menschen in Vampire nach festen Regeln der Unterwelt ... Am ungebrochensten kommen diese Elemente in Michael Borliks ’Engel der Nacht’ vor.

Interessanter sind sublimere Formen. Formen, die beispielsweise in einem Zwischenbereich zwischen Wirklichkeit und Traum spielen. So ist sich ’Dilara’ bei Wolfgang Hohlbein (s.o.) nicht sicher, ob es sich bei dem Erlebten um Alpträume handelt. Die Spannung besteht im langsamen Weg des Erkennens bei gleichzeitigen Fluchttendenzen. Flucht aus der phantastisch düsteren grausigen Welt, die trotz allem Widerstand auch eine gewisse unübersehbare Anziehungskraft auf die Heldin besitzt.

Den sublimeren Formen ist auch Alisha Biondas Erzählung zuzurechnen: Bei ’Seelenpfand’ fehlt der Biss in die Halsschlagader des anderen; das Aussaugen erfolgt auf subtilere Art. Die Handelnden, zwei Liebende, haben das Gefühl des Ausgeliefert-Seins. Sie sehen sich jeweils als Marionette des anderen. Beide möchten aus der Beziehung ausbrechen. Fast hat man den Eindruck, dass die Autorin dieser Geschichte etwas aus dem wirklichen Leben eingehaucht habe. Die Liebenden leben wirklich, sind also nicht halbtot oder scheinlebend. Und als Lebende haben sie eine Chance, vielleicht anders, als man es von Vampiren gewohnt ist.

Deutlicher als bei den anderen Geschichten der Anthologie wird bei ’Seelenpfand’ das Vampirprinzip zum Lebensprinzip von realen Menschen: Wie der eine sich am Leben erhält, indem er sich anderes Leben in gewisser Weise einverleibt, dies wird an Protagonisten demonstriert, die im Hier und Jetzt leben, und die nicht die Verfremdung zu typischen Vampiren über sich ergehen lassen mussten.

Die Welt der ’Schattenchronik’ Band 1 ist mit wenigen Ausnahmen in der Vergangenheit angesiedelt, einschließlich Altägypten. Mumien haben an sich schon etwas Grausiges, um so mehr, wenn der Vorgang des Einbalsamierens aus der Sicht des Toten beschrieben wird - zwischen Hoffen und langsam sicher werdender Gewissheit der Königin (s. o.), dass es sich bei den Handlungen der Priester nicht um lebenserhaltende Maßnahmen handelt. (Marc Alastor E.-E.). Oder wenn die auszuwickelnde Mumie bei den Auswickelpartys auf bestimmte Mittel eines Gelehrten so reagiert wie erwartet oder auch wieder nicht erwartet: Sie wird wieder zum Leben erweckt und reagiert auf nicht vorhersehbare und vor allem nicht erwünschte Weise.

Es kommt auch vor, dass Vampire in unserer Welt agieren, sich wie in der Geschichte von Markus Heitz in ’Ein besonderer Geschmack’ moderner Technologie bedienen, das heißt wissen, wie man mit Internet oder Mails umzugehen hat. Das ist interessant zu lesen, hat Witz. Aber man hat doch den Eindruck, dass sie fremdgehen, nicht so recht in die Netz-Gemeinschaft gehören.
Anders, wenn das Phantastische, Groteske auf eigentümliche Weise in unsere Welt eindringt, wie dies am ehesten in ’Vergnügungspark’ von Armin Rößler oder auch in ’Die Stadt am Fluߒ von Frank H. Haubold greifbar ist.
Fast Alltägliches - ein Vergnügungspark als Ablenkung an einem arbeitsfreien Tag aufgesucht - geht kafkaesk in einen nicht mehr begreifbaren Alptraum über ...

In ’Die Stadt am Fluߒ verwandelt sich eine normale Kleinstadt nach Jahren in einen Raum, wo ’trust in the night’ möglich ist. Das Strandbad verrottet in kniehohem Unkraut. Brennnesseln, Disteln, die Umkleideräume mutieren zur Ruine. Alles in der Stadt, die der Protagonist nach Jahren wieder aufsucht, ist fremd und bekannt zugleich. Erklärungsversuche erweisen sich als sinnlos. So wenn die jung gebliebene ’Erste Liebe’ in einem Tunnel am Straßenrand steht und als Anhalterin mitgenommen werden will.

Langsam, kaum wahrnehmbar wie in ’Die Stadt am Fluߒ - oder auch plötzlich wie in ’Vergnügungspark’ wächst Phantastisches in den normalen Raum hinein.

In einen Raum, in dem - bezogen auf nahezu alle Geschichten - bekannte moralische Gesetzmäßigkeiten, Vorstellungen von Recht und Ordnung, Lohn für sozialen Einsatz u.ä. nicht mehr gelten. Bleibt man als Leser ratlos zurück, wenn in ’Die Nahrung der Toten’ (Barbara Büchner) das Opfer einer jungen Frau für ihren toten Geliebten einem grausigen Ende zugeführt wird? Oder wenn der Lehrer, der dem unheimlich Wispernden im Auftrag von Dorfbewohnern nachgeht, das Abenteuer nicht ehrenvoll beendet, sondern am Ende das Leben verliert (Dominik Irtenkauf & Javier Hurtado: ’Trauerflug aus dem Süden’).

Dominik Irtenkauf weist in dem lesenswerten Essay am Ende der Sammlung auf Nietzsche hin, der von Gut und Böse als altem Wahn spricht. Auf jeden Fall trifft dies, wie zu sehen war, auf die Vampirwelt zu, wie sie uns unter anderem in dieser Sammlung vorliegt.

Von der ersten Erzählung mit dem Titel ’The Vampyre’ (1819), die den Vampir-Aberglauben mit suggestiv erotischen Zügen versetzt bis zu den heutigen Vampiren ist es ein langer variationsreicher Weg. Ein Variationsreichtum, der gerade auch in dieser Anthologie zur Geltung kommt.

Die Sammlung zeigt, welche unglaublich vielfältigen Möglichkeiten gestalterischer Art - bezogen auf die Darstellung seelischer Prozesse, existentieller Not, unheimlich grotesker Atmosphäre im Vampir-Mythos enthalten ist.

In Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik Band 1 haben die Herausgeber Alisha Bionda und Michael Borlik somit eine ungewöhnliche Sammlung von Vampirerzählungen zusammengestellt.
Ungewöhnlich auch, was die äußere Aufmachung angeht. Das Cover stellt eine Schatulle dar mit ‚alten’ Beschlägen, mit Rissen und einem geflügelten Wesen. Geflügelte Wesen breiten sich auch im Innern des Buches aus, jede Geschichte wird mit einer die jeweilige Handlung charakterisierenden Zeichnung von Pat Hachfeld eingeleitet, die wesentliche Motive/ Aussagen der Erzählung künstlerisch umsetzt.

Louise

Probe


Taschenbuch | Erschienen: 01. Juni 2005 | ISBN: 3898403513 | Preis: 9.95 Euro | 400 Seiten | Sprache: Deutsch

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