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Die Aufklärung hat die Wissenschaften und mit ihnen die menschliche Betrachtung des Lebens einschneidend verändert. Descartes, Kant und andere prägten die Philosophie, und durch immer neue technische Errungenschaften wurde in der Naturwissenschaft das Messen möglich, entstanden die exakten Naturwissenschaften.
Beim Versuch, die Welt und damit auch Natur und Lebewesen möglichst umfassend und präzise zu erklären, wurde teilweise über das Ziel hinausgeschossen, und hier setzt Andreas Weber an. Der studierte Biologe und Philosoph möchte eine "schöpferische Ökologie" zum Leitfaden für den menschlichen Umgang mit der Natur machen. Diese schöpferische Ökologie stellt er eingangs kurz vor; darauf folgen sechs in mehrere Kapitel gegliederte Teile.
Im ersten Teil geht es um das Grundstreben aller Organismen, vom Einzeller bis zum hoch organisierten Tier, nach Leben. Dieser Lebenswunsch unterscheidet die Organismen von den Maschinen, als die Descartes sie sah. Die nächsten Teile befassen sich mit den Gefühlswelten, die den Menschen mit der Natur verbinden, mit dem Geist, der dem Autor zufolge allen Wesen gemein ist und sich in den Begegnungen ganz unterschiedlicher Wesen widerspiegelt, und mit seelischem Erleben, gekoppelt an eine Freiheit des einzelnen Geschöpfs, die dem Darwinisten fremd ist. Der fünfte, wohl differenzierteste Teil beinhaltet Symbiosen, die alle Ökosysteme zusammenhalten und sogar für die einzelne Zelle unerlässlich sind, besteht doch die Eukaryotenzelle aus einst unabhängigen, miteinander verschmolzenen Einzelwesen. Der sechste und letzte Teil schließlich, mit "Heilung" betitelt, bietet eine auf den Erkenntnissen des Autors basierende neue Ethik an und eröffnet neue Ausblicke auf die Ausrichtung der Naturwissenschaften in der Zukunft.
In der Tat kann auch die moderne, von Hilfswissenschaften wie Chemie und Physik gestützte Biologie das Funktionieren des Lebens keineswegs restlos erklären, und man darf dem Autor durchaus darin zustimmen, dass mancher Aspekt des Darwinismus in die Irre leitet. Eine Solidarität über Artgrenzen hinweg wurde immer wieder und nicht nur bei gelangweilten Zootieren entdeckt. Hier und da lassen sich also tatsächlich Handlungen beobachten, die den Eindruck scheinbar stützen, die Natur sei
ein Wesen.
Der Versuch, eine Brücke zwischen einer Philosophie des reinen Fühlens und der Biologie zu schlagen, scheitert jedoch, wenn der Autor Argumente aus von ihm grundsätzlich als fehlgeleitet empfundenen Erkenntnisbereichen der Biologie als Belege heranzieht - falls er sich überhaupt einmal bemüht, seine Thesen wissenschaftlich zu begründen. Da er die exakten Naturwissenschaften aber aufgrund ihrer mechanistischen Ausrichtung ablehnt, kann er seine Ideen natürlich der Falsifizierung durch Beweise anhand ebendieser Naturwissenschaften entziehen. Liest man definitiv falsche Angaben wie jene, dass nie mehr Arten verschwunden seien als heute - ein Biologe sollte wissen, dass es zahlreiche Massensterben gab, bei denen innerhalb kurzer Zeiträume bis zu neunzig Prozent aller Arten ausstarben! -, so fragt man sich, wie genau der Autor mit anderen Fakten verfährt. Ebenso verwundert es, wenn biologisches und paläontologisches Standardwissen, etwa der Umstand, dass Lebewesen ihre Umwelt und damit ihr Ökosystem selbst gestalten, als eine neue und durchschlagende Erkenntnis präsentiert wird.
Der Autor flicht häufig persönliche, in der Natur gemachte Erfahrungen in das Buch ein. Dagegen spricht nichts, ebenso wenig wie gegen den häufig sehr opulenten, schier lyrisch-poetischen Stil und die mäandrierende Art der Beschreibung. In einem Sachbuch, das von Naturwissenschaft und Philosophie handelt, wirkt ein solcher Stil allerdings deplatziert. Vor allem kommt dem Leser aufgrund dieser Darstellungsart oft der ohnehin nicht immer offen zutage tretende rote Faden hoffnungslos abhanden.
An wen soll sich dieses Buch eigentlich richten? Dem Naturwissenschaftler erscheint es zu esoterisch und zu wenig von Fakten gestützt, als dass er sich davon bekehren ließe. Der Esoteriker wird vermutlich vor den an den Naturwissenschaften orientierten Passagen zurückscheuen. Wer eine Ersatzreligion sucht, vermisst hier konkrete Aussagen. Und auch der Philosoph würde wohl eine rationalere Darstellung wünschen. Außerdem müsste der Umstand, dass Einzeller sich bei Berührung mit einem Gift "verzweifelt" zusammenkrümmen und also dem Autor zufolge nicht minder fühlen als wir, dazu führen, dass ich mich weigere, mittels Antibiotikum die Agonie eines Streptococcus auszulösen - mit dem Resultat, dass jenes Mitgeschöpf, ohne auf dieser erhabenen Ebene mit mir zu fühlen, mich selbst in Agonie und Tod entlässt.
Nein, danke.