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Das fiktive Städtchen Arkham, gelegen im malerischen Neuengland, ist einer jener Orte, in denen das Grauen greifbar ist. Ersonnen hat es der berühmt-berüchtigte Schriftsteller H. P. Lovecraft, dessen Todestag sich jüngst zum 70. Mal jährte. Die perfekte Zeit also, um das legendäre Brettspiel "Arkham Horror" aus den späten 1980er-Jahren neu herauszubringen - und genau dies hat der Heidelberger Spieleverlag getan.
Dieses Spiel lässt schon seit langem die Herzen der Lovecraft-Fans höher schlagen, gilt es doch als besonders gelungene Symbiose von Brett- und Rollenspielelementen, vor allem aber als stimmungsvolle Umsetzung cthuloider Atmosphäre. Wer nun also die Schachtel der deutschen Neuauflage in den Händen hält, für den ist Arkhams Faszination sofort spürbar - allein schon durch das Gewicht der quadratischen Schachtel.
Schwer, randvoll gepackt mit Spielmaterial - und das kann sich sehen lassen! Hier wurde mit sichtlicher Liebe die Stimmung der lovecraftschen Geschichten eingefangen. Die Gestaltung der Spielkarten ist überdurchschnittlich, wenn man auch einige Bilder schon von dem (ebenfalls sehr hübschen) Trading Card Game "Mythos" kennt.
Aber nun erstmal alles auf Anfang - worum geht es in "Arkham Horror" überhaupt? Die Spieler verkörpern Ermittler, die sie sich aus einem Satz fester Pappkarten auswählen. Da haben wir "Ashcan" Pete, den Landstreicher, die Schriftstellerin Gloria Goldberg oder den eifrigen Fotografen Darrell Simmons - und zahlreiche weitere Figuren. Jede hat individuelle Stärken und Schwächen und unterschiedliche Werte, wobei vor allem geistige Gesundheit und Ausdauer von Bedeutung sind. Zufällig wird hingegen der Antagonist ausgewählt, der den Horror in das kleine Städtchen Arkham trägt: ein bitterböser Großer Alter, darunter Cthulhu selbst, Shub-Niggurath und Ithaqua, der Eisige Wind. Auch diese haben freilich individuelle Stärken und Schwächen, die das gesamte Spiel beeinflussen. Dies führt unter anderem zu einem hohen Wiederspielbarkeitswert.
Diesen Großen Alten gilt es auf jeden Fall zu vernichten. Dazu bewegen sich die Ermittler durch die Gassen von Arkham, dargestellt auf einem riesigen Spielbrett, das sehr übersichtlich geraten ist (wenn auch das Design nicht ganz mit der atmosphärischen Gestaltung der anderen Spielmaterialien mithalten kann). Über dreißig verschiedene Orte kann man hier aufsuchen, die Außenbezirke Arkhams nicht mitgerechnet; von der Bibliothek bis zum Hafen, von dem Hospital bis zum unheimlichen Hexenhaus. Jeder dieser Orte birgt Zufallsereignisse, die durch einen üppigen Satz Spielkarten ausgelegt werden. Besonders schön: diese Ereignisse sind knapp, aber sehr atmosphärisch zusammengefasst und weit mehr als bloße Zahlenhuberei. Hier wird der starke Rollenspieleinschlag des Brettspiels bereits deutlich, der zwar niemals dominiert, die Atmosphäre aber nachhaltig prägt.
Während die Ermittler nun also durch Arkham streifen, Hinweisen nachgehen, Gegenstände und Verbündete sammeln (all diese werden durch hübsche Kärtchen dargestellt), öffnen sich in der Stadt unheilvolle Tore und speien die Brut des Großen Alten aus. Menschliche Kultisten sind da nur die harmlosesten Vertreter; Ghule, Dimensionsschlurfer und andere Zeitgenossen fallen über Arkham her und erhöhen dabei die Punktzahl auf der Terrorleiste des Spielbretts. Das heißt: mehr und mehr Bewohner Arkhams fliehen, Geschäfte schließen, die Ermittler stehen mehr und mehr alleine da. Ist die Terrorleiste ausgeschöpft, endet das Spiel mit einem Sieg des Großen Alten. Die Ermittler hingegen müssen versuchen, ihn aufzuhalten, indem sie die Tore schließen oder den grauenvollen Gott selbst in einem Kampf besiegen. Dieser wird - wie alle Konflikte - mit einer Reihe von Würfelwürfen ausgetragen, die mit Spielwerten verrechnet werden - ganz wie im klassischen Rollenspiel. Ein "Endkampf" gegen den Großen Alten erfordert freilich den klugen Einsatz aller Spezialfertigkeiten, eine große Portion Mut und gute Waffen. Etwas ungefährlicher ist das Schließen der Tore, die sich mit Älteren Zeichen und anderen Zaubersprüchen versiegeln lassen. Dazu aber müssen die Spieler ebenfalls gut zusammenarbeiten, sich den umherschweifenden Monstern stellen und gelegentlich sogar ferne Welten aufsuchen: den Planeten Yuggoth, die Traumlande, das Plateau von Leng und zahlreiche andere. Man sieht: Das Brettspiel steckt voller Details, die sich liebevoll auf Lovecrafts Werk zurückführen lassen. Durch den üppigen Satz an Spielkarten wird zudem kein Besuch dieser "Anderswelten" gleich verlaufen, wobei das Spiel erstaunlicherweise eine gute Balance zwischen Glück und taktischer Vielfalt findet.
Dazu tragen auch die Spielmechanismen bei. Die Idee, dass ein Spieler seine Werte je nach Spielsituation selbst anpassen kann, ist hervorragend. Denn die Werte sind in Paare zusammengefasst; ist der eine Wert hoch, muss der andere zwangsläufig niedrig sein. Man kann also nicht gleichzeitig schnell sein UND gut schleichen, nicht gleichzeitig kampf- UND willensstark sein. Durch einen Merker legt man in jeder Spielrunde seine Prioritäten fest - ein gutes taktisches Element, auch wenn der Merker leider recht leicht verrutscht. Das kann schnell passieren, da man doch mit etlichen Materialien hantieren muss: den vielen Spielkarten, die man im Lauf einer Partie ansammelt, aber auch mit den Schadens- und Gehirnplättchen, mit denen man die geistige und leibliche Gesundheit markiert. Sinkt die zu arg, muss man ins Krankenhaus oder ins Sanatorium, um sich wieder aufpäppeln zu lassen. Sterben kann man in Arkham zum Glück nicht; man verliert aber in einer solchen Krise einige seiner Gegenstände, und dies kann die ganze Spielrunde zurückwerfen. Denn natürlich ziehen alle Ermittler an einem Strang, kämpfen gemeinsam gegen den Großen Alten. Das hohe Konfliktpotential sorgt aber von der ersten Runde an dafür, dass man sich gut miteinander abspricht; ein lebendiges Spiel stellt sich ein, und je mehr "Terrorpunkte" die Leiste anzeigt, desto hitziger werden die Diskussionen, welches Tor nun dringend geschlossen werden muss, wer sich in das Hexenhaus wagt, um dort (hoffentlich) einen mächtigen Gegenstand zu finden, und wer sich an dem grässlichen Mi-Go vorbeischleicht, der dort vor dem Rathaus herumlungert.
Alles in allem ist das Spiel äußerst durchdacht; man merkt, dass "Arkham Horror" eine zwanzigjährige Reifezeit vorausgegangen ist. Verglichen mit ähnlichen Spielen fallen der höhere Taktikgehalt, die abwechslungsreicheren Ereigniskarten, die unterschiedlichen Lösungswege und natürlich der Verzicht auf einen "Dungeonmaster" auf. "Arkham Horror" steht sicherlich in der Tradition dieser "Sammelspiele", perfektioniert die Mechanismen aber und hat deshalb einen ungleich höheren Wiederspielbarkeitswert. Komplex sind die Spielregeln allemal, und es empfiehlt sich, für die erste Partie ein paar Stunden mehr Zeit einzuplanen, um die Regeln zu lernen. Das Regelheft ist dabei nämlich nur bedingt eine Hilfe - etwas konfus aufgebaut, die Informationen oft schwammig. Das ist schade; denn abgesehen von der Spielregel hat sich der Heidelberger Spieleverlag sichtlich Mühe gegeben, das Spiel adäquat zu präsentieren. Vor allem die gelungene Übersetzung der vielen Spieltexte fällt auf und zeugt auch von lovecraftschem Faktenwissen. Übersetzungsfehler oder nicht abgeglichene Begriffe muss man mit der Lupe suchen, es sind nur zwei solcher Fehler aufgefallen. Bei einer solchen Textmasse ist das eine ordentliche Leistung.
Gibt es noch etwas zu kritisieren? Allenfalls Kleinigkeiten. Dass die Ermittlerfiguren "Pappaufsteller" sind, die in kleine Plastikfüße gesetzt werden, ist sicher nicht die beste Lösung und sieht unschön aus. Hier kann man eventuell auf Miniaturen oder einfache Pöppel ausweichen. Das Spielbrett ist, wie gesagt, gut zu handhaben, könnte aber etwas atmosphärischer gestaltet sein. Und die Wertemarker sind doch etwas fitzelig, da sie lose auf den Charakterblättern liegen und sich nicht feststecken lassen.
Abgesehen von diesen Kleinigkeiten begeistert "Arkham Horror" durchweg: Abwechslungsreich, durchdacht, liebevoll ausgestattet und - so man die Spielregeln erst mal intus hat - von annehmbarer Spieldauer. Übersetzung und Gestaltung verdienen ein Extralob, und die modularen Spielregeln eröffnen dem Tüftler jede Menge Möglichkeiten, um Hausregeln auszuprobieren, neue Gegenstände, Monster, Zaubersprüche etc. hinzuzufügen. Kein Wunder, dass der Heidelberger Spieleverlag schon drei (!) Erweiterungen angekündigt hat, die sich bestimmt sehr gut in das Hauptspiel einfügen. "Arkham Horror" ist nämlich wie gemacht für Ergänzungen und neue Varianten.
Die fünf Bewertungssterne hat sich "Arkham Horror" locker verdient. Aber man muss ehrlich sein: Wer mit den Werken Lovecrafts nichts anfangen kann und die Geschichten um Cthulhu und die Großen Alten nicht kennt, dem entgeht eine große Menge des Spielspaßes, der sich nicht nur, aber vor allem von der gut eingefangenen Atmosphäre herleitet. Und wer Rollenspielelemente in einem Brettspiel nicht schätzt, dem muss von "Arkham Horror" abgeraten werden. Alle anderen bekommen hier ein geniales Brettspiel, das jahrelang Spaß garantiert und sein Geld wert ist. Prädikat: Sehr gelungen!
Anmerkung: Ein Interview mit Heiko Eller zum Thema "Arkham Horror", findet sich hierEin kurzer Artikel über die inoffizielle Fanerweiterung "Arkham Investigations" findet sich hier