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 Raumtheorie

Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften


Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis


Dieses Buch versammelt dreißig Texte aus der Philosophie und den Kulturwissenschaften zur Raumtheorie. Es handelt sich um ältere Texte - der jüngste stammt von 1991 - von deutschen und französischen Denkern. Der Anspruch der Herausgeber war, hier Hintergründe der aktuellen Debatte um soziale Räume in einem Überblick zu versammeln.
Die Texte sind in sechs Gruppen geordnet. Der erste Teil stellt Texte zur Physik und Metaphysik des Raumes vor, von René Descartes bis Albert Einstein. Meist sind die Texte Abschnitte aus umfassenderen Werken. Bei Descartes wurde er zum Beispiel den Principia Philosophiae entnommen. Besonders ins Auge fällt hier der Briefwechsel zwischen Leibniz und Samuel Clarke. Die Herausgeber haben nicht einfach Briefe abgedruckt, sondern Teile der Briefe so gegeneinander gesetzt, dass sie sehr deutlich aufeinander antworten. Dieses Vorgehen ist zwar auf der einen Seite kritisch zu betrachten, weil hier Dokumente nur fragmentiert auftauchen, auf der anderen Seite aber ist gerade diese Zusammenstellung so erfrischend, spannend und mit viel Hinterwitz, dass man sie mit Vergnügen liest.
Der zweite Teil des Buches stellt fünf Texte zur Phänomenologie der Räumlichkeit vor, unter anderem Kurt Lewins schwer zu findenden Text "Kriegslandschaft", mit dem dieser große Denker einen ganz eigenen Zweig der Psychologie vorzustellen begonnen hat. Von Heidegger und Husserl, Bachelard und Merleau-Ponty sind die anderen Texte.
Um körperliche, technische und mediale Räume dreht sich der dritte Teil. Hier findet man ausschließlich französische Denker, Flusser und Virilio, aber auch einen "feministischen" Text von Luce Irigaray und einen Abschnitt aus Jacques Lacans erstem Seminar - jenes berühmte Beispiel, in dem Lacan anhand eines witzigen physikalischen Apparates erklärt, warum die psychischen Bilder an zwei verschiedenen Orten entstehen.
Vielleicht sind der vierte Teil, der von sozialen Räumen handelt, und der fünfte Teil, in dem politisch-geographische Räume im Mittelpunkt stehen, am dürftigsten ausgefallen. Allein: Die Flut an Texten und Dokumenten dürfte mehrere Sammelbände für sich erfordern. Hier war eine kluge Auswahl gefordert. Neben Simmel - "Über räumliche Projektionen sozialer Formen" - und einem Text von Pierre Bourdieu findet der Leser Foucaults berühmten Aufsatz "Von anderen Räumen", neben Hannah Arendt und Carl Schmitt findet man einen Abschnitt von Deleuze und Guattari aus ihrem Buch "Tausend Plateaus".
Der sechste und letzte Teil stellt Texte unter dem Aspekt "Ästhetische Räume" vor. Neben einem Grundlagentext von Ernst Cassirer werden Architektur (August Schmarsow), Theater (Max Herrmann), Film (Eric Rohmer) und plastische Künste (Jurij Lotman) vorgestellt. Auch hier handelt es sich um eine sehr beschränkte Auswahl.

Wie nun ist der Versuch der Herausgeber zu bewerten, aus der Unzahl von Texten zur Raumtheorie eine fundierte Sammlung herauszugeben? Ich war skeptisch und bin sehr positiv überrascht worden.
Durchweg setzen Jörg Dünne und Stephan Günzel auf den Dialog der Texte miteinander, so dass sich ein enger Zusammenhang herstellt. Dadurch wirkt das Buch insgesamt wesentlich homogener als andere Aufsatzsammlungen, trotz recht unterschiedlicher Theoretiker. Die Mischung aus bekannten und unbekannten, aus leicht zugänglichen und schwer erreichbaren Texten hat auch ihren Reiz darin, dass Grundlegendes und Außergewöhnliches zusammengestellt ist. Nicht zuletzt positiv hervorheben muss man die Einleitungen, die jedem Abschnitt vorangestellt sind, die Auswahl der Texte begründen, Hintergrundinformationen zu diesen liefern und in die aktuelle Diskussion einordnen.
Die beiden Herausgeber erweisen sich so insgesamt als geschickte Dramaturgen. Die Texte sind an sich hervorragend, wenn auch nicht immer einfach, spannend im Kontrast und erklärend in der beigesteuerten Dokumentation, ausgezeichnet mit jeweils einer Auswahlbibliographie versehen und somit auch für Leser, die sich noch nie mit Raumtheorien beschäftigt haben, sehr geeignet. Aber auch wenn man sich mit Raumtheorie schon beschäftigt hat, bietet dieser Sammelband viel Neues.
Zwar fehlen die Bereiche Psychologie und Ethnologie weitgehend, zwar kommen hier fast ausschließlich deutsche und französische Denker zu Wort, aber im Rahmen eines einzelnen Buches ist kaum mehr möglich.
Hervorragend bewerte ich Bücher manchmal alleine deshalb, weil sie sich weit über dem Niveau der öffentlichen Diskussion bewegen und trotz einiger inhaltlicher Schwächen. Dieses Buch aber ist auch in der akademischen Diskussion eine Perle und insofern doppelt hervorragend.

Frederik Weitz



Taschenbuch | Erschienen: 01. November 2006 | ISBN: 9783518294000 | Preis: 18 Euro | 554 Seiten | Sprache: Deutsch

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