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Statistiken entwerfen ein düsteres Bild von männlichen Kindern und Jugendlichen. Diese werden öfter straffällig als Mädchen, sind in der Schule bereits öfter auffällig, wenn es um Gewalttätigkeit oder ADS/ADHS geht, schließen im Mittel die Schule schlechter ab und neigen eher zu Drogenmissbrauch.
Die Autorin des vorliegenden Ratgebers spürt den Ursachen für diese auffälligen Diskrepanzen zwischen den Geschlechtern nach, indem sie sich an aktuellen Studien und eigenen Erfahrungen als Mutter und Therapeutin orientiert.
Arme Jungs? In der Tat. Jungen hinken von der Entwicklung her bereits im Mutterleib gleichaltrigen Mädchen hinterher, sind als Kleinkinder sehr sensibel und auf besonders viel Zuwendung und Zärtlichkeit angewiesen und geraten ständig in Rollen- und Identifikationskonflikte, weil sie fast nur von Frauen erzogen werden. Gisela Preuschoff zeigt auf, dass der Eintritt in den Kindergarten für viele kleine Jungen ein großes Problem ist, weil sie von der sozialen und der feinmotorischen Entwicklung und auch bezüglich der "Sauberkeit" noch deutlich hinter den Mädchen liegen, jedoch vor dieselben Anforderungen gestellt werden und folglich häufig "versagen". Kaum besser, so die Autorin (und auch die Erfahrung von Jungen-Müttern), sieht es beim Schuleintritt aus. Die nach wie vor schlechter ausgeprägte Feinmotorik macht den Jungs beim Schreibenlernen, der Bewegungsdrang bei der Forderung nach ruhigem Sitzen Schwierigkeiten. Es kommt zu Abwertung und Strafen anstelle einer an den spezifischen Bedürfnissen der Jungen ausgerichteten Erziehung. Auch der meist geringeren verbalen Ausdrucksfähigkeit von Jungen wird nicht Rechnung getragen. Weit lässt sich die Liste der typischen Jungs-Probleme fortsetzen, wie der Ratgeber aufzeigt.
Die Autorin weist auf die allzu logischen Folgen dieser Probleme hin, die nicht zuletzt auch mit der widersprüchlichen modernen Definition von Männlichkeit zu tun haben. Sensibel, empathisch, kommunikativ sollen die Männer sein, aber junge Mädchen und Frauen fühlen sich trotzdem stark von den traditionell männlichen, eher rauen Eigenschaften angezogen. Was denn nun? An dieser Frage kann ein Junge verzweifeln.
Ein Ratgeber wäre kein Ratgeber, wenn nicht Lösungsansätze geboten würden, und diese vermittelt die Autorin für praktisch alle Lebenslagen und jedes Alter, wobei dem Kleinkindalter die größte Bedeutung beigemessen wird. Sie spricht mehrere Zielgruppen an, oftmals in eigenen Kapiteln: Mütter, Väter, allein erziehende Mütter, und plädiert für einen liebevollen, von Vertrauen und Verlässlichkeit geprägten Umgang mit männlichen Kindern und Jugendlichen.
Eltern, vor allem Mütter, an die sich die Autorin in Kenntnis der Tatsache, dass die Erziehung größtenteils von ihnen getragen wird, ganz besonders wendet, werden ihre Söhne und deren Probleme - oder was die Gesellschaft zu Problemen hochstilisiert - in diesem Ratgeber sehr häufig wieder erkennen. Manches scheinbar unerklärliche Verhalten hat eine völlig logische Ursache. Das Buch wird viele Eltern wunderbar beruhigen: Sie haben nichts falsch gemacht, sie und vor allem auch ihr Sohn sind ganz normal, und von Erzieherinnen oder Lehrern angeprangertem Verhalten liegt in zahlreichen Fällen der Trend von Gesellschaft und Erziehungssystem zu einer zu eng gesteckten Norm für kindliches Verhalten zugrunde, die sich zudem überwiegend an den schnelleren und ruhigeren Mädchen orientiert.
Arme Jungs! Die Autorin rechtfertigt deren typische Wesenszüge, sie nimmt zudem die verunsicherten Eltern in Schutz, greift aber nicht einseitig Lehrer und Erzieher an, denn diese wenden schließlich an, was sie selbst gelernt haben. Es würde sich auch für Menschen, vor allem Frauen, in pädagogischen Berufen lohnen, dieses Buch zu lesen.
Die einzelnen Kapitel enthalten viele konkrete Fallbeispiele mit ausführlicher Interpretation. Häufig wird, wie oben erwähnt, aus aktuellen, seriösen Studien zitiert und auf Internetseiten sowie vor allem weiterführende Literatur hingewiesen; präzise Angaben hierzu finden sich im ausführlichen Literaturverzeichnis. Die Autorin vertritt ihre Meinung, so steht sie etwa der Waldorf-Pädagogik nahe und befürwortet eine möglichst späte Hinführung von Kindern zum Computer, macht aus ihren Ansichten, so lange es sich nicht um wissenschaftlich belegte Fakten handelt, jedoch sympathischerweise keine Doktrin und führt auch Alternativen auf.
Da sie zudem praktisch alle heute denkbaren familiären Konstellationen einbezieht, können Jungen-Eltern mit dem unterschiedlichsten persönlichen und familiären Hintergrund aus diesem Ratgeber zugunsten ihrer Söhne Nutzen ziehen.
Das Buch ist übersichtlich gegliedert und hervorragend verständlich, zumal die Autorin auf "Fachchinesisch" verzichtet und immer wieder tabellarische Übersichten mit Problemen, Lösungsvorschlägen oder Anregungen anbietet. Zeichnerische Illustrationen, die typische Reizsituationen widerspiegeln, und Fotos von ernsten, sensiblen Jungengesichtern, in denen man den eigenen Sohn wieder erkennen kann, lockern die Texte auf.
Eltern von Söhnen tun sich und ihren armen Jungs mit dieser Lektüre definitiv etwas Gutes.