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Shevek verlässt Anarres. Seine Brüder und Schwestern halten seine Reise nach Urras für Verrat an ihren Idealen. Shevek hingegen will dort nach dem Gemeinsamen suchen oder es erschaffen. Vor einhundertsiebzig Jahren verließen seine Vorfahren Urras. Sie folgten dem Manifest von Odon und bildeten ein Volk, das Individualität ablehnte. Sie besiedelten den unwirtlichen, wüstenhaften Mond Anarres einzig aus einem Grund: Sie wollten sich dem Besitzdenken der Menschen auf Urras entziehen.
Doch Shevek glaubt, dass es eine gemeinsame Zukunft aller Menschen gibt. Er setzt alles daran, Urras und Anarres zu vereinen und die gegenseitige Abneigung zu überwinden. Immer stärker jedoch bedrängen ihn seine Erinnerungen. Er fühlt immer mehr, dass er seine Utopie aus den Augen verliert und von Urras instrumentalisiert wird. Seine Hoffnung, mit Hilfe seiner physikalisch bahnbrechenden Theorien einen Konsens zwischen Urras und Anarres, ja zwischen allen Völkern des Universums zu erlangen, scheint zu trügen. Er spürt immer stärker, dass die Gräben zwischen den "Besitztümlern" von Urras und den "Habenichtsen" von Anarres durch seine Bemühungen eher tiefer wird.
Doch welcher Welt soll er sich zuwenden? Der Welt des Besitzes, der uneingeschränkten Freiheit des Geistes und des Überflusses, oder der Welt des gemeinsamen Strebens, des Mangels und der Gleichheit aller Individuen?
"Der Planet der Habenichtse" - so der ursprüngliche deutsche Titel des Romans "The Dispossessed" - erschien 1974 und erhielt mit dem "Hugo Award" und dem "Nebula Award" zwei der bedeutendsten, weltweit wichtigsten Preise, die es in der Science-Fiction-Literatur zu gewinnen gibt.
Der als "moderne Utopie" bezeichnete Roman beschäftigt sich intensiv mit zwei unterschiedlichen Gesellschaftssystemen. Im Prinzip könnte man sie als die Gegenüberstellung des sozialistischen oder kommunistischen Systems und des kapitalistischen Gesellschaftssystems bezeichnen. Doch Ursula K. Le Guin erweitert diese Systeme, verfremdet sie und idealisiert sie gleichzeitig. Sie entzieht ihren Roman damit geschickt der Gegenwart und verleiht ihm etwas Zeitloses. Sie konzentriert beide Systeme in der Existenz eines Individuums, das in beiden Systemen seine Heimat sucht und zwischen ihnen taumelt.
In diesem Buch geschieht nichts. Keinerlei Action, keine außerirdischen Kontakte, keine nennenswerten Zukunftstechnologien werden erläutert, keine wirklichen utopischen Ideen oder Systeme umrissen. Darüber hinaus wird die Handlung durch Rückblenden erzählt und konzentriert sich komplett auf die Gedankenwelt eines einzigen Menschen. Seine Ideen, seine Reflexionen, seine Schlussfolgerungen sind alleiniger Gegenstand der Betrachtung. Dies geschieht in einer sehr komplexen, schwierig nachvollziehbaren Sprache und Struktur.
Ursula K. Le Guin macht es dem Leser nicht leicht, sich in den Roman zu vertiefen. Sie fordert absolute Konzentration. Will man verstehen, was "Shevek" - also Le Guin - denkt, muss man ihm und seinen Gedankengängen bedingungslos folgen. Der sperrige Aufbau, der komplexe Verlauf und das offene Ende erschweren den Zugang zu diesem Roman. Hinzu kommt, dass das Buch nun über dreißig Jahre alt ist und sowohl Kommunismus als auch Kapitalismus an Grenzen gelangt sind und sich verändert haben.
Funktioniert diese "alte Utopie" auch heute noch? Kann ein Buch, das zwischen den damaligen gegensätzlichen Gesellschaftsformen frei mäandriert und sie in eine theoretische Zukunft versetzt, in eben dieser Zukunft noch funktionieren?
Bedingt, denn spannend und ereignisreich ist dieses Buch nicht, man erlebt kein Abenteuer, keine Heldensagen, keine Science-Fiction-Literatur im herkömmlichen Sinn. Doch dieses Buch ist intellektuell fordernd, anregend und irritierend.
Dank der "Edition Phantasia" hat man ein neu übersetztes Meisterwerk in den Händen, das zeitlos zu sein scheint. Auch dreißig Jahre nach seiner Entstehung sind die Gedanken zur Individualität und zum Gemeinschaftssinn des Menschen aktueller denn je.
Wer dieses Buch liest, wird in seinem eigenen Leben und seiner Haltung zu seinen Mitmenschen beeinflusst und verändert, und das kann man wirklich nicht von vielen Science-Fiction-Büchern sagen.