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 Preußen

Aufstieg und Niedergang 1600-1947


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Nachdem 1945 das Dritte Reich kapituliert hatte, galt es, das besiegte Deutschland neu zu ordnen. Nie wieder, so lautete der erklärte Wille der Alliierten, sollte Deutschland eine Gefahr für seine Nachbarländer darstellen. Nach zwei von Deutschland entfesselten Weltkriegen sollte ein Schlussstrich unter die "deutsche Krankheit", den deutschen Sonderweg, gezogen werden. Deshalb verfügte der Alliierte Kontrollrat im Jahr 1947 die Auflösung von Preußen. Denn in diesem größten deutschen Teilstaat glaubte man den Keim gefunden zu haben, der die Aggressivität und das Expansionsstreben Deutschlands erweckt hatte. So verschwand Preußen für immer von der Landkarte - ein Gebiet, das in der Tat eine erstaunliche, erschreckend kriegerische Geschichte hinter sich hatte. Noch heute löst allein das Wort Preußen hitzige Debatten aus; für die einen steht es nach wie vor für Militarismus, Kriegshunger, Drill und Popanz, während andere auf die humanistischen, aufklärerischen Tendenzen der preußischen Fürsten und Könige im 17. und 18. Jahrhundert hinweisen und sich gegen eine Verteufelung Preußens aussprechen.

Eine Geschichte Preußens zu schreiben ist deshalb noch heute eine emotional behaftete Aufgabe, vor der deutsche Historiker (nicht zu Unrecht) oft zurückschrecken. Ein modernes Standardwerk fehlt seit Langem. In diese Lücke prescht nun ein junger australischer Historiker, der durch sein Studium in Deutschland die Thematik für sich entdeckte und seine jahrelangen Forschungen in einem dickleibigen Kompendium zusammengefasst hat. Dass Christopher Clark als Australier eine Außensicht auf Deutschland und Preußen einnimmt, spürt man in jeder Zeile. Unbefangen und undogmatisch legt er schon auf den ersten Seiten los, indem er die preußische Geschichte kurz umreißt, und in diesem Stil geht es weiter: eine präzise, sachliche Darstellung, die auf Floskeln ebenso verzichtet wie auf Netz und doppelten Boden. Clark schildert den Aufstieg Preußens, das aus dem eher ärmlichen Brandenburg erwuchs und sich durch die expansive Politik seiner Herrscher daran machte, zu einer europäischen Großmacht zu werden. So überstand es die Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges, um sich dann in mehreren Feldzügen (vor allem unter Friedrich dem Großen) weite Teile Schlesiens und Polens anzueignen und um nach weidlichem Taktieren mit wechselnden Bündnispartnern (mal Österreich, mal Frankreich, mal Russland) als Kernstaat des Deutschen Kaiserreichs zwei gefährliche Versuche zu unternehmen, zur Hegemonialmacht Europas aufzusteigen ... Der "Griff nach der Weltmacht", wie der Historiker Fritz Fischer später schrieb. Clark widmet sich aber nicht nur den großen Kriegen und Schlachten, sondern liefert eine kenntnisreiche und hervorragend erarbeitete Darstellung der preußischen Gesellschaft, Verwaltung und Kultur. Die Ereignisgeschichte ist äußerst elegant mit der Struktur- und Sozialgeschichte verwoben und lebt von einem Stil, der sich wohltuend vom Historikerdeutsch hiesiger Professoren abhebt. Ein Beispiel ist Clarks Schilderung des Siebenjährigen Krieges; der militärhistorischen Würdigung der preußischen Siege und Niederlagen auf dem Schlachtfeld folgt ein längerer, quellennaher Abschnitt über die Folgen des Kriegs für die Bevölkerung und die einfachen Soldaten. Clark zeigt, welche Schrecken und welches Leid die europäischen Kriege mit sich brachten. Das liest man in dieser Form selten; wo andere Historiker schmale Lippenbekenntnisse abliefern, weitet er den Horizont für das alltägliche Schicksal - um dann wenige Abschnitte später wieder zu Intrigen am Kabinettstisch, Affären der Fürstenhäuser und die große Weltpolitik überzugehen.

1871 ging Preußen nach dem Sieg über Frankreich in dem Deutschen Kaiserreich auf. Als mächtiger Teilstaat bestimmte es die Richtung, in die diese neue Großmacht sich bewegte ... und dieser Weg mündete - nach einer kurzen Phase der Konsolidierung - in den Ersten Weltkrieg. Dieser führte Preußen an den Rand der Katastrophe und konnte seinen Willen, im Konzert der Mächte weiterhin die erste Geige zu spielen, nicht brechen. Clark verfolgt den "preußischen Geist" bis in die Weimarer Republik und in das Dritte Reich hinein, als Preußen nominell nur noch auf dem Papier existierte, als Idee aber weiterhin große Wirkungsmacht entfaltete. Erst der Zweite Weltkrieg und die definitive Auflösung des Staats ließ diese Idee verblassen, auch wenn Preußen weiterhin Schreckgespenst und schwieriges Erbe der Deutschen bleibt.

Christopher Clark ist eine exzellente Darstellung gelungen, die bis ins Detail begeistert, die sich spannend wie ein Roman liest und sich durch ihren Kenntnisreichtum, ihre exakte Quellenarbeit und mutige Deutungen als neues Standardwerk über Preußen etablieren wird. An Clark wird man in Zukunft nicht mehr vorbeikommen, wenn man über Preußen forschen und sinnieren will, und man muss dem Autor wahrlich Respekt für diese Leistung zollen.

Hagen Hoffmann



Hardcover | Erschienen: 01. Januar 2007 | ISBN: 9783421053923 | Preis: 39,95 Euro | 900 Seiten | Sprache: Deutsch

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