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Mit Frankreich verbindet die Deutschen eine lange und bisweilen unbequeme Geschichte. Viele hierzulande verkennen den südwestlichen Nachbarn; die Franzosen arbeiten nur, um zu leben, sie trinken den ganzen Tag Wein und essen Käse, außer Paris gibt es ohnehin keine wichtige Stadt im Land und so weiter; die Liste der Vorurteile und Klischees ist lang.
Günter Liehr, der seit den siebziger Jahren selbst in Paris lebt, hat es sich in seinem Buch "Frankreich - Eine Nachbarschaftskunde" zur Aufgabe gemacht, mit einigen Stereotypen aufzuräumen und dem deutschen Leser - ob voreingenommen oder nicht - das französische Nachbarland politisch wie gesellschaftlich näher zu bringen.
In fünf großen Themenkomplexen geht Liehr auf alle wichtigen Aspekte ein, die notwendig sind, um Land und Leute besser nachvollziehen zu können. Den Auftakt bildet "Geschichte: Von der Erbfeindschaft zur offiziellen Freundschaft" und stellt von Anfang an eine Verbindung zwischen Deutschland und Frankreich her. Die gemeinsame Geschichte wird beleuchtet, man erfährt Interessantes über die Erbfeindschaft wie auch über die hart umkämpfte Länderfreundschaft, die zwar vorhanden, jedoch nicht wirklich ausgeprägt ist beziehungsweise aktiv betrieben wird.
"Die Republik: Stärken und Schwächen" greift das Staatssystem Frankreichs auf, geht auf seine Entwicklung und den heutigen Stand ein. Dabei erfährt der Leser Wissenswertes über die Trennung von Kirche und Staat, die Probleme des Zentralismus, regionale Problemkinder wie Elsass und Korsika und vieles mehr.
Wenn Geschichte und Staatssystem besprochen werden, darf die Politik Frankreichs natürlich nicht fehlen. Ihr wird der dritte Themenkomplex gewidmet, in dem das Augenmerk beispielsweise auf den französischen Parteien, der Gefahr der extremen Rechten und verschiedenen politischen Schritten zur Entwicklung des Landes liegt.
Dann ist es soweit: Liehr stößt erst in die gesellschaftlichen - "Gesellschaft: Hierarchie und Eigensinn" - und dann in die kulturellen - "Kultur und Kommunikation" - Bereiche vor, die sich zwar ebenso an Fakten orientieren wie die vorigen Kapitel, die sich aber mehr der menschlichen Seite und dem alltäglichen Leben widmen. Hier lässt der Autor oftmals kleine Anekdoten fallen und erzählt von Erfahrungen, die er selbst oder Bekannte im Nachbarland gemacht haben. Der Unterhaltungswert ist durch die Anbindung an Erfahrungswerte um einiges höher als die vorhergehenden Kapitel und beinhaltet neben den Informationen auch versteckte Hinweise, wie man sich im Nachbarland am besten verhält, um gut integriert zu werden.
Das Buch schließt mit einer zusammenfassenden Nachbemerkung, einem chronologischen Überblick über die wichtigsten Stationen der französischen Geschichte, einem Anhang mit sämtlicher genutzter Sekundärliteratur sowie wichtigen Abkürzungen im Französischen, Abbildungsnachweisen und einer Liste mit Links, die dem interessierten Leser weitere Möglichkeiten bieten, sich mit Frankreich und seinen Institutionen und Einrichtungen näher zu beschäftigen.
Die Anekdoten, die Liehr aus seinem Leben in Frankreich erzählt, sind anschaulich und bringen eine Lebendigkeit in den Stoff, die den ersten Kapiteln aufgrund ihrer Thematik fehlt. Dementsprechend fallen diese anspruchsvoller und bisweilen trockener aus; viele Informationen werden angerissen und nicht tiefer ausgeführt, weshalb der interessierte Leser weitere Fachliteratur heranziehen sollte. Hingegen sind es die zwei letzten Kapitel, die dem Frankreichliebhaber richtig das Herz aufgehen lassen. Liehr widerlegt scharfsinnig so manches Vorurteil und untermauert mit charmantem Humor wiederum einige Klischees, so dass seine Ausführungen sowohl unterhaltsam und amüsant als auch informativ und wissenswert sind.
Für einen ersten allgemeinen Überblick ist "Frankreich" von Günter Liehr definitiv geeignet. Wo Wissenswertes nur angerissen und nicht näher ausgeführt wird, empfiehlt es sich, weiterführende Literatur hinzuzunehmen; ansonsten bietet das Buch fundierte und sachliche Informationen über unser Nachbarland, die hin und wieder auch mit einem charmanten Augenzwinkern vermittelt werden. So zeigt sich das Kennenlernen eines Nachbarlandes von einer interessanten und hilfreichen Seite.