Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Gefühl | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Wien, frühes 20. Jahrhundert: Der Arzt Fridolin und seine Frau Albertine führen scheinbar eine Bilderbuchehe und wirken glücklich in ihrem biedermeierartig anmutenden Leben. Als beide jedoch nach dem Besuch eines Maskenballs darauf verfallen, einander ihre erotischen Träume mit fremden Partnern zu erzählen, ist Fridolin bestürzt und verletzt, hätte er, in dieser Hinsicht ganz Bourgeois, doch nie angenommen, dass Albertine eine eigenständige Sexualität besitzen könne. Hass kommt in ihm auf, und um sich an ihr zu rächen, begibt er sich nach einem Krankenbesuch hinaus in die Wiener Nacht und verstrickt sich in ein rätselhaftes Abenteuer, indem er sich von einem alten Freund, der als Barpianist arbeitet, in eine geheimnisumwitterte Gesellschaft einschleusen lässt - es soll dort Frauen geben, die nackt und maskiert tanzen. Der Freund hat nicht zu viel versprochen. Eine der Schönen warnt Fridolin allerdings schon bald, er solle sich entfernen, bevor er entdeckt wird, doch Fridolin hört nicht auf sie. Prompt wird er von den männlichen Mitgliedern der Runde gestellt und massiv bedroht. Seine Beschützerin bietet an, ihn auszulösen. Gegen seinen Willen wird Fridolin in eine Kutsche gesperrt und am Stadtrand ausgesetzt.
Als er im Morgengrauen heimkehrt, reißt er Albertine aus einem Traum, in dem sie sich einem Fremden hingibt und währenddessen gleichgültig zusieht, wie Fridolin gefoltert wird. Fridolins heile Welt bricht endgültig zusammen. Er will die Rätsel der letzten Nacht aufklären, erfährt, dass sich eine schöne Frau unter einem falschen Namen in einem Hotel umgebracht hat, und findet ihre Leiche in der Pathologie des Krankenhauses. Doch da er das Gesicht seiner Beschützerin nicht kennt und der Tod den einst schönen Körper bereits entstellt hat, ist er nicht sicher, ob es sich um die Frau aus jener verruchten Runde handelt.
Zutiefst erschüttert kehrt er nach Hause zurück, und dort nimmt die Novelle noch einmal eine unerwartete Wendung.
Was uns heute wie eine schöne und geheimnisvolle literarische Verarbeitung erotischer Gedanken und der Spannung zwischen Mann und Frau erscheint, war im Wien der Zwanzigerjahre ein Skandal, insbesondere die Betonung der auch für den Protagonisten verstörenden Tatsache, dass Frauen, zumal verheiratete, sexuelle Phantasien hegen und "austräumen" können. Mit dem Ausleben sah es freilich auch bei Schnitzler anders aus.
Es ist daher Fridolin, der sich aufmacht, um das Abenteuer zu suchen. Es begegnet ihm zwar - in Form einer blutjungen Prostituierten, die ihn seltsam anrührt, bei einem Kostümverleiher, der seine minderjährige, vermutlich schwachsinnige Tochter an Freier verschachert, und natürlich in jener Villa mit der geheimbundartigen Gesellschaft -, doch zur Erfüllung kommt es nicht. Schnitzler lässt zudem die Grenze zwischen Traum und Realität verschwimmen, sodass letztlich unklar bleibt, was Traum ist und was Wirklichkeit: Die Träume wirken auf seltsame Weise real, und die Wirklichkeit scheint wie ein Traum zu sein, zumal auch die Figuren, die Fridolin begegnen, gleichsam vor seinen Augen und denen des Lesers zu zerfließen scheinen.
Schnitzlers "Traumnovelle" entzieht sich einer eindeutigen Interpretation und ist zugleich ein bezaubernd schönes Stück Literatur, ein Klassiker, der für den Kubrick-Film "Eyes Wide Shut" als Vorlage diente.
Bei dtv ist die Novelle in der "Bibliothek der Erstausgaben" erschienen, es handelt sich also um den Originaltext. Im Anhang findet der Leser ein Glossar mit den heute ungebräuchlichen oder dem Wienerischen entlehnten Ausdrücken, ferner einen ausführlichen Lebenslauf des Schriftstellers Arthur Schnitzler und ein Nachwort, in dem der Leser einige Hilfen zum besseren Verständnis der Novelle erhält und zugleich erfährt, wie eng sich Kubrick mit seinem Film an Schnitzlers Vorlage gehalten hat.
Das Buch ist klassisch-schlicht aufgemacht. Die Zeilennummerierung ermöglicht exaktes Zitieren und macht diese Ausgabe daher auch für Schule, Studium und wissenschaftliche Arbeit tauglich.
Wer sich für hochwertige deutschsprachige Literatur, insbesondere im Originaltext, interessiert, sollte dieses Werk nicht versäumen, zumal das Preis-Leistungs-Verhältnis dieser in gewohnter Dtv-Qualität gehaltenen Ausgabe nur schwer zu übertreffen sein dürfte.