Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Humor | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Hunger, Kriege, Kindersterben, Korruption in der Heiligen Kirche, allgegenwärtige Bosheit - wie kann Gott dies alles zulassen? Diese Frage stellen sich die Menschen nicht erst seit gestern, und im 17. Jahrhundert führte sie zu heftigen Debatten. Der Philosoph Leibniz versuchte sie schließlich in seiner "Theodizee" zu beantworten: Die Welt sei noch immer "die beste aller möglichen Welten", Gottes Gnade trotz allem groß. Leibniz war aber auch der letzte namhafte Philosoph, der eine solche Antwort zu geben vermochte. Schon er musste auf das Problem reagieren, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse der Bibel widersprachen und somit die Existenz Gottes herausforderten. Leibniz versuchte, Wissenschaft und Glauben in Einklang zu bringen. Doch hundert Jahre später war dies kaum mehr möglich - die Aufklärung brach mit der alten Doktrin, und Denker wie Diderot, Humes, Montesquieu und Voltaire stellten die Dogmen der Kirche in Frage. Voltaire blieb es dabei vorbehalten, im Jahr 1759 eine scharfzüngige Parodie auf LeibnizÂ’ "beste aller möglichen Welten" zu verfassen: "Candide oder der Optimismus". Der Roman erschien anonym, sorgte europaweit für Empörung und Protest, landete rasch auf dem Index der katholischen Kirche und trug Voltaire (dessen Urheberschaft rasch aufflog) die ewige Feindschaft derselben ein ... was dem großen Aufklärer freilich wenig ausmachte.
Candide, ein naiver junger Mann mit großem Herz und noch größerem Optimismus, verliebt sich unglücklich in seine Cousine Kunigunde, Tochter eines stolzen Barons, der jedoch eine Verbindung alles andere als gut heißt und Candide fortjagt. Zusammen mit seinem Lehrer Pangloss begibt sich Candide nun auf Irrfahrt durch die Welt, gelangt von Paris und Lissabon bis nach Buenos Aires und wird stets Zeuge allen Übels und aller Verwerfung der menschlichen Gesellschaft und Natur: entsetzliche Katastrophen, blutige Schlachten, Demütigungen, Sklavenhalterei. All dies kann aber seinen Optimismus nicht brechen; in naiver Manier versucht Candide auch den schrecklichsten Fügungen etwas Positives abzugewinnen und sie als göttliche Fügung hinzunehmen. Dies wird im Verlauf des Romans zunehmend absurder und mündet schließlich in eine berühmte, idyllische Schlussszene in einem Zitronengarten, die ein parodistisches Meisterstück der Weltliteratur darstellt.
Noch heute regt Voltaires intelligente Schrift zum Nachdenken an - ein Abgesang auf Naivität, blindes Gottvertrauen und Floskeln à la "Es wird schon alles gut werden" oder "Die Welt ist nun mal so". Voltaire fordert hier auf, die Dinge eben nicht so zu akzeptieren, wie sie sind, und appelliert an den Verstand des Menschen. Die in "Candide" aufgeworfenen Grundfragen nach Mitmenschlichkeit und Verantwortungsbewusstsein sind auch heute weitgehend ungelöst. Es lohnt sich also ein Blick in dieses fast 250 Jahre alte Buch, das zudem äußerst unterhaltsam geschrieben ist und nicht mit Frivolitäten und amüsanten Sticheleien gegen die Religion geizt.
Die neue Ausgabe des Marix-Verlags von Heinz-Joachim Fischer präsentiert "Candide" im soliden Hardcover, und zwar sowohl den Originaltext als auch die Übersetzung von Ulrich Bossier. Fischer hat auch die Einleitung und das Nachwort verfasst, die allerdings wenig Erkenntnisgewinn bergen. Dennoch ist die Ausgabe zu empfehlen, da sie mit einem wirklich niedrigen Preis und einer qualitativ hochwertigen Aufmachung punkten kann.