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Es hört sich nach einer traumhaften Verbindung an: Eine der erfolgreichsten deutschen PC-Spielmarken verschmilzt mit einer der erfolgreichsten deutschen Brettspielmarken. Das preisgekrönte Aufbauspiel "Anno 1701" trifft auf das "Die Siedler von Catan"-Kartenspiel. Dementsprechend gibt der Kosmos-Verlag auf der Rückseite der Schachtel im bekannten Format "Spiele für 2" an, dass das Spiel besonders für "Anno"- und "Catan"-Fans geeignet sei. Doch trotzdem - diese augenscheinliche Traumehe scheitert.
An der Gestaltung des Spiels scheitert es freilich nicht. Die tolle 3D-Grafik des Computerspiels macht sich auch auf den quadratischen Karten ganz gut und ist ein ebenbürtiges Pendant zu gezeichneten Bildern. Lediglich das Symbol für die Ressource Nahrung irritiert stark, sieht es doch aus der Ferne aus wie ein Schimmelkäse und erweist sich erst aus allernächster Entfernung als ein Brot und ein Fisch.
Der Spielablauf ist dem des "Siedler"-Kartenspiels zunächst grundlegend gleich. Jeder Spieler besitzt mehrere Landschaftskarten, die alle eine Zahl von eins bis sechs tragen und die Ressourcen Nahrung, Stoff, Holz, Ziegel und Werkzeuge zeigen. Am Anfang jedes Zuges würfelt der Spieler mit einem Zahlen- und einem Ereigniswürfel - je nach Zahlenergebnis erhält man die entsprechenden Ressourcen, außerdem tritt ein positives Ereignis wie Steuern oder ein negatives wie Feuer ein. Danach darf der Spieler nach Belieben handeln und seine maximal drei Handkarten ausspielen. Darunter befinden sich Aktionskarten, die einem selbst Vorteile oder dem Gegner Nachteile verschaffen und Gebäude, die erst gebaut werden müssen, die aber die Ressourcenproduktion erhöhen, einem Handelspunkte bescheren, einen vor dem Feuer schützen oder dem eigenen Schiff mehr Kanonen oder Segelpunkte verschaffen. Denn am Ende seines Zuges hat man die Möglichkeit, auf Seereise zu gehen und sich dort die begehrten Luxuswaren Rum und Tabak zu erhandeln. Bei der Reise dreht man nacheinander Karten von einem speziellen Stapel um und trifft dabei auf freie Händler, Schiffbrüchige, gefährliche Gewässer oder Piraten, die man bekämpfen kann, was durch einen Würfelwurf und die Anzahl der Kanonen geklärt wird. Wenn man Pech hat, wird das Schiff dabei beschädigt, was sich durch den Verlust von Zustandsstufen bemerkbar macht und sogar dazu führen kann, dass die Reise wegen Seeuntauglichkeit abgebrochen und das Schiff repariert werden muss. Wenn man Glück hat trifft man jedoch auf die fremden Völker, die einem Rum oder Tabak verkaufen, die beiden wichtigsten Waren des Spiels. Denn nur mit ihnen kann man seine anfänglichen Pioniere und Siedler zu Bürgern und Kaufleuten aufwerten - und nur diese bringen Siegpunkte, um das Spiel zu gewinnen. Bezahlen muss man die Waren mit Gold, wovon man bis zu acht Einheiten in seinen Stadtzentren lagern kann. Problematisch dabei: Gold bekommt man nie durch den Zahlenwürfel, sondern nur über bestimmte Ereignisse, Gebäude und die Seereise. Wenn man kein Gold mehr hat, ist das Spiel sofort verloren.
Ziel ist es, seine anfänglichen vier Pioniere zu Siedlern, Bürgern und Kaufleuten hochzuzüchten, wozu man wie beschrieben die Luxuswaren Rum und Tabak benötigt. Siedler sind je einen Punkt, Bürger zwei und Kaufleute drei Siegpunkte wert, bei sieben Siegpunkten oder zwei Kaufleuten hat man das Spiel sofort gewonnen.
Bis auf die Geschichte mit der Seereise (Kennern aus dem Kartenspiel "Sternenschiff Catan" bekannt) befinden sich Fans des "Siedler"-Kartenspiels hier auf vertrautem Territorium. Und doch ist einiges anders. Beispielsweise dehnt sich die eigene Siedlung nicht noch weiter aus, bekommt man keine weiteren Landschaftsfelder hinzu. Das Maximum der Kartenhand bleibt das gesamte Spiel über bei drei. Einen Räuber oder die ernsthafte Gefahr, Ressourcen zu verlieren, gibt es nicht, man kann die Rohstoffe bedenkenlos horten. Lediglich einige Aktionskarten können einem Ressourcen oder - viel schmerzhafter - Gold abzwacken. Das hat zur Folge, dass man "Anno 1701" im Gegensatz zum "Siedler"-Kartenspiel wesentlich gemütlicher spielen kann und keine große Sorge um seinen Status Quo haben muss, sind einmal erwirtschaftete Siegpunkte doch absolut sicher und haben keine Möglichkeit, den Besitzer zu wechseln. Gemütlich ist sowieso das richtige Stichwort: Mindestens eine Stunde wird man für den Spielverlauf einplanen müssen, der zudem noch recht ereignisarm vonstatten geht. Das große Problem ist die Trägheit, mit der das Spiel fortschreitet - man braucht einfach ewig, bis man mal einige erfolgreiche Seefahrten durchgeführt hat, in denen man genug Luxusgüter ansammelte, um einen Einwohner hochzustufen. Da wird selbst der eigene Zug mit seinen sehr eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten schnell öde, entwickelt sich kaum Dynamik. Ja, selbst zwischen den Spielern wird kaum gehandelt, weil sich häufig einfach nicht die Notwendigkeit ergibt. Ein ausgiebiges Rennen um die zum Vorbild analogen Figuren "Kanone" und "Handelsmacht" findet ebenfalls nicht statt, weil diese einfach keine nennenswerten Vorteile bringen. Alles hängt an den Luxuswaren, und die häuft jeder brav für sich alleine an.
Die 75 Minuten Spielzeit, die "Anno 1701" durchschnittlich dauert, sind für ein Kartenspiel dieser Größenordnung einfach viel zuviel - der Spielablauf hätte wesentlich beschleunigt werden müssen! Schlimmer noch, bisher hatte nach der Hälfte der Spielzeit jedes Mal der eine Spieler einen eindeutigen Vorteil gegenüber dem anderen, der Rest der Partie war dann nur das Warten auf dessen unvermeidlichen Sieg. Öde!
"Siedler"-Kartenspielfans werden den Ärgerfaktor und die Aggressivität des Vorläufers vermissen, Fans des PC-Spiels das breite Angebot an verschiedenen Waren und ausgeklügelten Produktionsketten, mit denen eine Siedlung effektiv bewirtschaftet werden kann. Im Gegenzug zur Packungsangabe werden beide also eher enttäuscht sein.
Die Hälfte der Zeit macht das Spiel jedenfalls Spaß - aber sobald eine Partie beginnt, langweilig zu werden, sollte man sie auch abbrechen.