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In diesem Band erwarten den Leser fünf Geschichten, die aufgrund ihrer thematischen Brisanz keinesfalls zu der Zeit veröffentlicht werden durften, in der sie geschahen.
Das Buch beginnt mit der Titelgeschichte, welche von Gary Lovisi geschrieben wurde und der man unzweifelhaft die Leidenschaft ihres Autors für den Meisterdetektiv anmerkt. Die Charakterisierung der Figuren gelingt Lovisi hervorragend, wobei er neben dem Erfolgsduo Holmes und Watson auch Inspektor Lestrade, Mycroft Holmes und Inspektor Gregson zu einem wiederholten Auftritt verhilft. Die Story an sich spielt mit einem gesellschaftlichen Tabu, das in unserer Zeit dank Filmen und Büchern wie "Das Schweigen der Lämmer" auch zunehmend zur abendfüllenden Unterhaltung herhalten darf: dem Kannibalismus. Dabei braucht der Leser nicht zu befürchten, dass die Handlung zur unkontrollierten Blutorgie mutiert. Die Geschichte hätte in ihrem Stil auch von Doyle selbst stammen können. Der Plot ist überraschend und schlüssig, eben typisch für einen Holmes-Fall.
Auch der zweite Fall stammt von Gary Lovisi, der dieses Mal weder Holmes noch Watson als Erzähler auserkoren hat, sondern keinen geringeren als Mycroft, Sherlocks sieben Jahre älteren Bruder. Die Handlung beginnt mit dem Fall "Das letzte Problem", nur eben aus einer anderen Perspektive erzählt, zieht sich aber über den "Tod" Holmes‘ hinaus und berichtet dem Leser, was tatsächlich geschah und wie Professor James Moriarty wirklich sein Ende fand. Dabei erfährt der Leser das Ungeheuerliche: Es gibt nämlich eine interessante Verbindung zwischen Mycroft Holmes und dem Napoleon des Verbrechens.
Die Geschichte wird spannend und kurzweilig erzählt und zählt zu den besten Holmes-Erzählungen, die nach Doyles Tod veröffentlicht wurden.
Die nächste Erzählung von Barrie Roberts unter dem Titel "Das Rätsel des Addleton-Fluches" konfrontiert Holmes und Watson einmal mehr mit einem augenscheinlich übersinnlichen Phänomen, welches aber dem scharfen Verstand des Detektivs nicht standzuhalten vermag. Eine solide Erzählung, deren Stil teilweise zu antiquiert wirkt, aber den typischen Charakter der Holmes-Fälle dennoch bewahrt.
Im vierten Fall griff Martin Baresch selbst zur Feder, nachdem er schon die beiden vorangegangenen Geschichten ins Deutsche übersetzte. Baresch nimmt sich dieses Mal dem in Sussex zurückgezogen lebenden Sherlock Holmes an, der sich ganz der Bienenkunde widmet, und lässt den Detektiv seine Geschichte selber erzählen. Watson wird nur am Rande erwähnt, obwohl es um den Tod seiner Frau Mary geht, die keines natürlichen Todes starb, sondern einem Mord zum Opfer fiel. Einem Mord, den vielleicht der Meisterdetektiv selbst verübte?
Auch hier erwartet den Leser eine Kriminal-Story im Geiste von Arthur Conan Doyle, die offene Fragen beantwortet. Besonders gefällt eine Anspielung auf "Mycrofts großes Spiel", welches von Baresch ja übersetzt wurde. So werden auch die einzelnen Fälle dieses Bandes verwoben, wobei sich die einzelnen Handlungen in bestimmten Abläufen schon widersprechen, aber da kann man den Autoren ihre künstlerische Freiheit zuerkennen.
Der letzte Fall beschäftigt sich mit einem beliebten Thema innerhalb der Kriminalistik und der Literatur im Allgemeinen: Wer war Jack the Ripper wirklich? Dass sich dieses Mal Sherlock Holmes dieses Falls annimmt, verleiht der Geschichte einen dramaturgischen Kick, gehört die Konfrontation zwischen Holmes und dem Ripper doch zu den beliebtesten Gedankenspielen der Fans des Meisterdetektivs, denn beide waren ja immerhin Zeitgenossen. Geschrieben wurde die Story von dem amerikanischen Wissenschaftler und Science-Fiction-Autor Geoffrey Landis, der dem Leser eine Lösung auftischt, die eingefleischte Anhänger nur schwer akzeptieren werden, die aber gleichzeitig auch genial, abwechslungsreich und spannend ist. Und wenn man sich auf die Handlung einlässt, erwartet den Leser einer der unheimlichsten und mysteriösesten Fälle von Sherlock Holmes.
Die Innenillustrationen, die als Cover zu den einzelnen Erzählungen dienen, übertreffen sogar noch die Bilder aus dem ersten Band. Passend zur Handlung stimmen sie den Leser schon im Vorfeld perfekt auf die Geschichte ein, denn sie vermitteln eine ganz eigene Atmosphäre.
Nicht vergessen werden darf die Umschlaggestaltung des Buches. Mit einem düsteren Titelbild aus den verwinkelten Gassen des viktorianischen Londons ist das Cover ein echter Blickfang.