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Quis custodiet ipsos custodes?
In einem alternativen Amerika der 80er Jahre stirbt der Comedian, ein maskierter Held. Dieser Tod tritt eine Reihe von Ereignissen los, die die Leben mehrerer ehemaliger "Super"-Helden aufrütteln, obwohl sich die meisten von ihnen doch schon im Ruhestand wähnten, als die Regierung vor einigen Jahren ihr Tun als illegal verurteilte. Nur noch wenige der ehemaligen "Wächter" sind aktiv - zwei als Mitarbeiter der Regierung - unter ihnen das Mordopfer - und ein Unbelehrbarer, der im Untergrund seinen Idealen weiter nachgeht. Letzterer, ein gefürchteter Maskierter namens Rorschach, ist es auch, den der Leser über einen Großteil der Geschichte begleitet, als dieser versucht, das Verbrechen aufzuklären, und dabei einem weitaus größerem Komplott auf die Spur kommt. Aber oft weicht die Handlung vom Hauptstrang ab, um die Vergangenheit der Charaktere näher zu beleuchten.
Alan Moores Watchmen versucht darzustellen, wie eine realistische Gesellschaft darauf reagieren würde, wenn normale Menschen auf einmal begännen, kostümiert das Verbrechen zu bekämpfen. Aber es wäre nicht so ein brillantes Buch, wenn es nicht um mehr ginge und wenn es nicht auf so vielen Ebenen funktionierte.
Schon allein der Titel lässt sich auf mehreren Ebenen lesen. Einerseits steht er repräsentativ für das Titel gebende Zitat dieser Rezension: Who watches the watchmen? Wer bewacht die Wachen? Ein Superheld steht über der normalen Gesellschaft (um sie zu beschützen?), aber wer steht über dem Superhelden?
Andererseits kommen Uhren (Englisch watch oder clock) wiederholt im Buch vor. Und eine dieser Uhren, die metaphorische Doomsday Clock, steht ebenso wie ein Damoklesschwert über der ganzen Comicserie.
Und wieder andererseits könnte man "watch" auch als "beobachten" deuten. Beobachten, um Informationen zu erlangen. Der grobe Handlungsrahmen des Comics ist eine Mordserie an ehemaligen Superhelden, die aufgeklärt wird. Dazu sammelt der Hauptcharakter Rorschach Informationen. Aber es gibt noch einen weiteren großen Beobachter, der in der Handlung eine ebenso große Rolle einnimmt.
Watchmen stammt aus den 80ern, und bei einem Motiv merkt man dies noch überdeutlich: der Kalte Krieg ist noch stark präsent, vor allem da einer der Protagonisten - Doc Manhattan, eine gottgleiche, beinahe allmächtige Gestalt, die sich aber kaum noch für seine Mitmenschen interessiert - den wichtigsten Rüstungsvorsprung der USA gegenüber der UdSSR darstellt.
Desweiteren tauchen immer wieder Hiroshima-Echos auf, die Schatten von Menschen, die während der Explosion der Atombombe auf ewig in Häuserwände eingebrannt wurden, in ihrer eigentlichen und in abstrahierter Gestalt: als Graffitis, als Schatten in Rückblenden oder ganz abstrakt in der Erinnerung an eine Bombe, alle Kriege zu beenden - der wahre Schatten von Hiroshima.
Und ganz nebenher gibt es natürlich noch maskierte Wächter und das Thema der Identität, das sich bei Kostümen ja geradezu anbietet: Id. Ego. Superego. Ein Dialog zwischen Sarah Juspeczyk alias Silk Spectre und Dan Dreiberg alias Nite Owl, zwei der Helden im Ruhestand, dreht sich folglich auch um die zweite Haut der Superhelden:
- That sounds like the costume that could really mess you up.
- Is there any other sort?Der Zeichenstil ist simpel gehalten und weit weniger stilisiert als Moores "V for Vendetta" oder das etwa zeitgleich erschienene "The Dark Knight Returns" von Frank Miller. Gerade diese Geradlinigkeit erleichtert es aber, der Geschichte zu folgen, die oft zwischen verschiedenen Erzählebenen wechselt. Zudem sind die Bilder mit kleinen "Überraschungen" und Hinweisen gefüllt, die man wohl erst beim zweiten Lesen entdeckt. Sowohl Text als auch Bilder stecken voller Symbole, das Medium Comic wird also vollends ausgenutzt.
Watchmen ist zwar in seinem Setting tief in den 80ern verwurzelt, geht aber in seiner Geschichte so tief auf grundlegende menschliche bzw. gesellschaftliche Wesensmerkmale ein, dass es auch heute noch absolut lesenswert ist und bleibt. Und sei es auch nur, um aus erster Hand zu erfahren, woher Filme wie "SAW" oder "The Incredibles" und vermutlich noch viele mehr ihre Inspiration (oder zumindest Teile davon) her nehmen.