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Einführungen in die Literaturwissenschaft gibt es wie Sand am Meer. Meist sind sie nach einem recht ähnlichen Schema aufgebaut: In einem eigenen Abschnitt werden die einzelnen Theorieströmungen abgegrenzt und penibel schubladiert aufgelistet. Manchmal von einem, manchmal von mehreren Autoren.
Oliver Jahraus hingegen setzt seine Einführung viel grundlegender an. Er schaltet nämlich der Auflistung einen ebenso umfangreichen Teil vor, in dem er über grundlegende Probleme und Fragestellungen reflektiert. Er bastelt sich sozusagen ein Werkzeug, ein Raster aus Leitfragen und -linien, anhand deren er in der zweiten Hälfte Methodologie und Methoden(kanon) der Literaturwissenschaft die bestehenden Forschungsrichtungen kartographiert. Und gerade diese grundsätzlichen Fragestellungen, die dabei zur Sprache kommen, sind es, die diese Einführung auszeichnen.
Mittels eines sehr stark hermeneutisch und systemtheoretisch geschärften Paradigmas geht er aus von den beiden Leitfragen "Was ist Literatur?" und "Was heißt es, einen literarischen Text zu interpretieren?" Denn das prinzipielle Statusproblem der Literaturwissenschaft ist ja, dass sie im Gegensatz zu den naturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen keine harten Fakten produziert, sondern alles - auch empirische Tatsachen - nur als beobachterabhängig wiedergeben kann.
Was also ist Literaturwissenschaft, die da als Disziplin fragt, was Literatur ist? Literaturtheorie konstituiert sich nach Jahraus vor allem durch die Trias Objektkonstitution, Viabilität und Vermittlung, also die Frage danach, wie sie ihr Thema bestimmen kann und wie sie dieses allgemein verstehen und zugleich individuell interpretieren kann. Dazu führt er den Medium-Form-Zusammenhang ein. Ist ein Medium etwas Loses, so wird die Form in Anlehnung an Luhmann als streng gekoppelt bestimmt. Medium ist also die Literatur und Form der literarische Text. Wie kann nun Literaturwissenschaft nach Literatur fragen? Einerseits deskriptiv-normativ, also in Hinblick auf moralische Werte wie Schönheit, Wahrheit et cetera oder andererseits nominal-real, also im Sinne des weberschen Postulats der Wertfreiheit.
Eine weitere Leitlinie, die angerissen wird, ist die Dialektik von Literatur als Symbol- und Sozialsystem. Damit wird ein hermeneutischer Grundgedanke aufgegriffen, nämlich das Oszillieren von Literaturwissenschaft zwischen literaturimmanenten und -transzendenten Bezugspunkten. Dies schwingt ja ebenso in der oben angesprochenen Fragestellung mit, die zu Beginn als Anspruch formuliert wurde, wie Literatur zu interpretieren sei, nämlich zwischen den Polen des Einzelnen und des Ganzen. Also noch einmal: Wie also kann Literaturwissenschaft interpretieren? Die Antworten darauf gibt der zweite Teil, denn - das war auch die Ausgangsüberlegung dieses Textes - die Beobachtung ist ja abhängig von der Unterscheidung, die zuvor getroffen wurde.
Das darauf folgende Theorieschaulaufen beginnt mit einer Verortung im Jakobsonschen Kommunikationsmodell Sender - Text - Empfänger - Kontext, um den Hauptansatzpunkt der Theorien aufzuzeigen. Jahraus stellt kurz und prägnant Hermeneutik, Strukturalismus, Rezeptionsästhetik und empirische Literaturwissenschaft, psychoanalytische Literaturwissenschaft, Proststrukturalismus, Dekonstruktion und Diskursanalyse vor sowie am Ende noch einen eigenen Ansatz.
Was Jahraus bietet, ist eine eher thematisch strukturierte Einführung in Literaturtheorie als Methodik der Literaturwissenschaft. Die Einführung ist sowohl geeignet, sie in einem Rutsch durchzulesen, um einen Überblick über Literaturtheorie zu erhalten, als auch um einzelne thematische oder theoriespezifische Informationen zu finden. Allerdings - und dies ist ein kleiner Wermutstropfen - wird sich der in Hermeneutik und Systemtheorie unbedarfte Leser trotz spürbarer Bemühungen des Autors im ersten Teil zeitweise schwer tun. So entsteht ein wenig das Problem der Reihung; denn es wird im ersten Teil bereits vorgegriffen auf Konzepte, die eigentlich erst im zweiten Teil vorgestellt werden.
Oliver Jahraus gelingt in seinem Buch etwas (für die Literaturwissenschaft) Beeindruckendes: Er schafft es, auch komplexe Sachverhalte relativ einfach und dennoch sehr pointiert darzustellen. Seine Methode ist, dazu in dem Band "Literaturtheorie" permanent Fragen aufzuwerfen. Häufig vermag er selbst keine Antwort zu geben, nur die Problematik darzustellen. Doch genau dadurch kommt die Tiefe des Bandes zustande. Es ist weniger eine Schule der Literaturtheorie, sondern eher eine Schule des Fragens. Und damit trifft er die Schulung einer für die Literaturwissenschaft ganz essentiellen Fähigkeit.