Die abendfüllenden Zeichentrickfilme, die unter Walt Disney entstanden sind, waren signifikante Beiträge zur Kultur des 20. Jahrhunderts. Viele der Darstellungen von klassischen Geschichten und Märchen haben sich heute ins kollektive Gedächtnis gebrannt.
Aber hinter diesen Filmen stand bei weitem mehr Kunst als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag - und damit ist jetzt nicht (nur) die Arbeit der Animatoren und Zeichner gemeint. Vielmehr wurden die Filme, die benutzten Hintergründe und deren Vorbilder auch sehr stark von der Kunst beeinflusst. Wo genau diese Einflüsse lagen und wie sie sich auswirkten kann man in dem Buch "Once upon a time Walt Disney - The sources of inspiration fort he Disney Studios" aus dem Prestel Verlag erfahren, das auf der gleichnamigen Ausstellung in der Galeries National du Grand Palais in Paris basiert.
Das Buch in englischer Sprache beinhaltet mehr als 300 Arbeiten der Disney-Mitarbeiter, darunter Skizzen, Zeichnungen, Skulpturen, Film-Cells und vieles mehr zu Filmen von Schneewittchen bis hin zu Dornröschen. Das Spektrum der Kunsteinflüsse reicht von mittelalterlichen Werken bis hin zum Surrealismus.

Am Anfang steht die Frage, ob Disney-Werke wirklich in ein Museum gehören. Im ersten Kapitel des Buches "Walt Disney at the museum?" erklärt Herausgeber Bruno Girveau, warum natürlich Werke von Walt Disney und seinen Mitarbeitern eben doch in eine Reihe mit großen Künstlern gehören. Untermalt werden diese Thesen mit wunderschönen farbigen Zeichnungen zu Alice im Wunderland, Peter Pan, Fantasia und Cinderella. Hier kann man auch schon die ersten Vergleiche zwischen den Filmen und ihren Vorbildern aus der Kunstgeschichte ziehen.
Im nächsten Kapitel wird "The collection and origins of the ARL (Animation Research Library)" vorgestellt. Hier erfährt der Leser, dass Disney selbst seine Mitarbeiter anregte, sich mit europäischer Kunst zu beschäftigen und dass er dafür sorgte, dass nicht nur die alten Meisterwerke aufgehoben wurde, sondern dass auch das original Artwork seiner Filme erhalten blieb. Auch hier gibt es wieder viele Bilder, diesmal auch aus Pinoccio und Schneewittchen neben schon genannten Werken wie Alice im Wunderland.
In "Walt Disney, the visionary of animated film" lernt der Leser den Mann hinter den Studios und Filmen besser kennen. Zugleich erfährt man aber auch etwas über die Entstehungsgeschichte der wohl berühmtesten Maus der Welt. Passend dazu sind natürlich die Bilder von anderen Tieren aus Disney Filmen und ihre Inspirationen.
Etwas über die Arbeit bei den Disney Studios erfährt man im nächsten Kapitel "Training Disney Artists: Don Granham and the Chouinard Art Institut". Der Kunstlehrer Don Granham stand vor völlig neuen Problemen, als es darum ging, Bilder das Laufen zu lehren. Neben Bildern, die zeigen wie die Zeichner am lebenden Objekt - zum Beispiel Rehen im Studio - genaue Vorlagen finden sollten, sind hier auch die ersten Skulpturen von Disney Figuren zu sehen.
In "Disney’s European Sources" erfährt man genauer, welche Epochen, Kunstrichtungen und Künstler als Vorlage für einzelne Disney Filme dienten. Auch hier kann man die Werke von Beatrix Potter oder Gustave Doré, um nur zwei zu nennen, mit ihren Pendants aus dem Hause Disney vergleichen. Dabei wird dem Film Fantasia ein längerer Abschnitt gewidmet.
Es folgt "Beyond the Mirror: Walt Disney and literatur and cinema". Hier sind natürlich die Fotos von alten Schwarz-Weiß-Filmen zu betonen, die die eine oder andere überraschende Verbindung aufzeigen, unter anderem zwischen Schneewittchen und Fritz Langs Klassiker Metropolis.
Walt Disney als Bauherr oder Architekt wird dem Leser in "The nostalgic builder: Walt Disney, architecture and design" vorgestellt. Natürlich geht es hier auch vorrangig um die Zeichnungen und Hintergründe in den Filmen, die Städte oder Wälder zeigen, in Filmen wie Peter Pan oder dem Dschungelbuch. Einen besonderen Wert nimmt hierbei der Anthropomorphismus ein.
Überraschend war und ist für viele immer noch die Zusammenarbeit zwischen "Dali and Disney", die an einem Film namens Destino arbeiteten.
"Disney and Pop Art" passt da für viele Leser schon besser zusammen. Hier finden sich Bilder von Roy Lichtenstein und Andy Warhol und anderen Künstlern ihrer Zeit.
Das letzte Kapitel widmet sich dem Thema "Reusing Disney". Hier erfährt man etwas über den Einfluss und die Verwendung von Disney-Motiven in der modernen Kunst. Die gezeigten Exponate sind dabei erstaunlich vielseitig, aber oft sehr ironisch.

In den Anhängen finden sich neben einer Bibliographie auch eine Filmographie. Besonders interessant sind hier aber die Biographien der Disney-Zeichner der ersten Stunden.

Jeder, der die alten Disney Filme mag, sollte sich dieses Buch nicht entgehen lassen. Man bekommt einen tieferen Einblick in ihre Entstehungsgeschichte und lernt viel über die Menschen, die diesen Filmen ihr Leben einhauchten.
Aber natürlich ist dieses Buch auch schon interessant, wenn man nur erfahren will, welche Künstler und welche Werke die Disney Filme beeinflussten. Dabei dominieren die Bilder oft die Texte, so dass man dieses Buch durchaus auch genießen kann, wenn man der englischen Sprache nicht mächtig ist. Allerdings würde man interessante Aufsätze mit vielen Zitaten der Beteiligten verpassen, die dieses Buch ungleich lebendiger machen.
Die Bilder selbst werden in einer hochwertigen Qualität präsentiert. So kann der Leser Details aus den Originalen herauslesen und erkennt auch in den Versionen der Disney-Zeichner das eine oder andere Meisterwerk, das im fertigen Film vielleicht etwas untergeht.

In diesem Buch sieht man, dass Disney-Filme nicht nur als Ikonen der Moderne ihren Platz im Bewusstsein der Menschen verdient haben. Es steckt wirklich viel Liebe zum Detail und sehr viel Kunst in dieses Filmen. Empfehlenswert für alle, die sich von der Zeichentrickkunst noch mal bezaubern lassen wollen.