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In dem schmalen Bändchen "Der Seidenlaubenvogel" fasst der Autor Jona Ostfeld sechzehn fiktive Kurzgeschichten aus dem fiktiven Leben des Hermann W. zusammen. Titelgebend sind Vogelnamen, die in ganz unterschiedlicher Art und Weise mit dem Inhalt der jeweiligen Szene in Zusammenhang stehen. Selten ist es ein realer Vogel, der eine Rolle spielt, meistens aber sind es Menschen, die von Hermann W. mit den jeweiligen Vogelnamen bedacht werden. Ihr Äußeres, eine ihrer hervorstechendsten Eigenschaften oder eine intuitive Eingebung führen zu gewöhnlichen Vogelnamen und wahren Exoten, die nur ein Ornithologe kennt.
In
"Der Seidenlaubenvogel" sinniert Hermann W. darüber nach, warum er - obschon bereits in fortgeschrittenem Alter - noch nie mit einer Frau geschlafen hat. Er hält sich für schüchtern und uninteressant, ansonsten aber für völlig normal und strebsam. Da findet er in einem ornithologischen Fachbuch - seine einzige Leidenschaft - einen Bericht über den Seidenlaubenvogel und wie er um Weibchen balzt. Dies inspiriert ihn zu einer ungewöhnlichen Vorgehensweise.
In
"Die Alpendohle" bringt falsche Scham Hermann dazu, einen Klassiker zu erwerben und zu lesen. Doch wie soll er am nächsten Morgen der Buchhändlerin unter die Augen treten ohne sich zu blamieren?
"Der Rote Flamingo" ist eine Französisch-Lehrerin. Deren Abendkurs hat Hermann auf Drängen seiner Mutter besucht. Doch der Kurs wird nur von Frauen besucht und Hermann ahnt, dass dies schlecht für ihn ausgehen wird.
Weitere Episoden aus dem Leben des Hermann W. sind
"Das Wintergoldhähnchen", in der Hermann es mit zwei Kindern zu tun bekommt,
"Der Kernbeisser", die von einem recht kurzen Besuch im Fitnesscenter erzählt,
"Die Eule", "Das Haushuhn", "Die Nachtigall", "Die Nonnengänse", "Der Schreiadler", "Der Pfau", "Der Kranich", "Die Stockenten", "Der Höckerschwan", "Die Schmarotzerraubmöwe" und
"Der Schwarzstorch", der letzten, komischsten und berührendsten Geschichte.
Zehn Geschichten ist ein Bild des schweizerischen Künstlers Fritz Husers vorangestellt. Es sind detailreiche, in Grautönen gehaltene Skizzen von menschlichen Körpern mit Vogelköpfen. Sie beziehen sich auf den Titel und die Eigenschaft des jeweiligen Vogels/Menschen in der Geschichte. Diese Zeichnungen sind im ersten Augenblick sehr irritierend. Doch im Laufe der Geschichten werden sie immer klarer in ihrer Bezugnahme zu Herrmann W. und seiner Marotte, alles und jeden mit Vogelnamen zu belegen. Die künstlerische Umsetzung dieses Grundgedankens ist sehr feinfühlig und letztlich beeindruckend gelungen.
Doch entscheidend für den nachhaltigen Eindruck, den das Buch auf den Leser macht, ist die Sprache des Autors. Seine Sätze sind schlicht und unprätentiös. Sie führen mit einfachsten Mitteln direkt in das Seelenleben eines Mannes, der einsam und allein scheint, von Niederlage zu Niederlage gehetzt wird und dem wenig positive oder motivierende Momente im Leben gelingen. Und doch ist dieser Mensch zufrieden, nicht verbittert, bewahrt sich eine innere Ruhe und Gelassenheit, ein so hohes Maß an Empathie und Einfühlungsvermögen, dass man sich mit ihm seelenverwandt glaubt, oder zumindest hofft, ähnlich reflexiv und tiefsinnig über Mitmenschen und Geschehnisse nachzudenken.
Jona Ostfeld gelingt es in diesen sehr kurzen, oft nur vier oder fünf Seiten langen Betrachtungen, einen Menschen in all seinen Facetten darzustellen und ihm dennoch nicht alle Geheimnisse zu nehmen oder ihn zu entblößen. Er bewahrt ebenso Abstand und lässt ihm seine Würde wie er ihn fast seziert und offenbart in all seinen inneren Gefühlsregungen.
Ihm kommt es auf die Gedankengänge hinter den Aktionen und Reaktionen an, auf den inneren Menschen, der nicht sichtbar ist und doch in winzigen Gesten und Verhaltensweisen sichtbar wird.
Dieses wundervolle Kleinod der schweizerischen Belletristik hat nur einen gravierenden Fehler: Es ist zu teuer. So werden nur wenige Leser in den Genuss der schlichten und schönen Texte Ostfelds und der beeindruckenden Bilder Fritz Husers kommen.