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"Die Bibliothek von Babel" - so lautet nicht nur eine berühmte symbolische Erzählung von Jorge Luis Borges, sondern auch eine dreißigbändige Buchreihe phantastischer Erzählungen, die der große argentinische Schriftsteller in den 1970er Jahren zusammengetragen und herausgegeben hat; seine Favoriten innerhalb der phantastischen Literatur, die ihn selbst geprägt haben. Die erstaunliche Zusammenstellung (von Lord Dunsany über Kafka, von Meyrink bis H. G. Wells) gilt bis heute als eine erlesene Sammlung anspruchsvoller Phantastik, die vor allem eins zeigt: was das Genre zu leisten imstande ist, welche Welten es dem Leser erschließen kann und welche Farbenpracht ihm innewohnt.
Gleichwohl war die "Bibliothek von Babel" (hierzulande in der Edition Weitbrecht erschienen) seit vielen Jahren vergriffen. Nun hat es sich die Büchergilde Gutenberg, eine genossenschaftliche Buchgemeinschaft mit Wurzeln in der deutschen Arbeiterbewegung, zur Aufgabe gemacht, eine neue Edition herauszubringen. In der Tat hat die Büchergilde mit der Neuauflage einen großen Coup gelandet; angesichts des Fantasybooms war die Zeit reif für eine Rückbesinnung auf jene anspruchsvolle Phantastik, für die BorgesÂ’ Name steht.
Den Auftakt macht damals wie heute Pedro Antonio de Alarcóns Kurzgeschichten "Der Freund des Todes" und "Die große Frau", beide Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben. Der spanische Schriftsteller Alarcón legt hier zwei mysteriöse Erzählungen vor, die sich beide um das stete Bewusstsein des Menschen ranken, sterblich zu sein. In "Der Freund des Todes" schließt der junge Gil Gil die zweifelhafte Freundschaft mit dem Tod selbst, und dieser verfolgt ihn in Gestalt eines androgynen Wesens nun auf Schritt und Tritt, raubt ihm - aus purer Liebe - die engsten Angehörigen und seine Geliebte Elena, verleiht ihm zugleich die schreckliche Fähigkeit, den Tod eines Menschen vorauszusehen, und begleitet ihn bis zum schrecklichen Ende, Gil Gils eigenem, herausgezögerten Tod. "Die große Frau" hingegen (deutlich kürzer) erscheint stets vor dem Tod eines ihm nahestehenden Menschen dem Straßenbauingenieur Telesfero, ein alptraumhaft enstelltes Weib, das ihn auf offener Straße verfolgt und verhöhnt. Ist sie Mensch oder Dämon, Satan oder der Tod selbst? Dies bleibt bis zum Ende der Geschichte offen, die übrigens - ein Kunstgriff, den auch Borges gerne anwendete - von einer zweiten Figur nacherzählt wird.
Alarcóns Geschichten wirken wie eigenartige Träume; die Handlung ist selten stringent, stolpert manchmal ungestüm dahin, um dann wieder in einem Schwebezustand zu verharren. So ganz vermögen sie allerdings den heutigen Leser nicht mehr zu überzeugen und zu fesseln. Die Symbolik hat im Lauf der Jahre etwas Staub angesetzt, und die Dialoge gestalten sich inmitten der lyrischen Bildsprache erstaunlich schlicht. Dennoch geht ein (wenn auch verblassender) Zauber von diesem ersten Band der "Bibliothek von Babel" aus, der Lust auf die weiteren handverlesenen Erzählungen macht.
Dass dem so ist, läßt sich maßgeblich auf die wunderschöne Gestaltung der Buchreihe zurückführen: das schlanke, elegante Buch mit der ausdrucksstarken Umschlagillustration von Bernhard Jäger ist ein wahres Schmuckstück, das edle Papier und der elegante Schrifttyp überzeugen auf ganzer Linie. Solche Bücher möchte man im Regal stehen haben und immer wieder lesen, denn sie künden von einer Freude am Lesen, die in der heutigen Zeit der Grabbeltische und des Remittendenhandels schon fast verlorengegangen ist.
Wer auch nur einen Hauch von Liebe zur anspruchsvolleren Phantastik in sich spürt, sollte sich das Abonnement der Büchergilde (
http://www.bibliothekvonbabel.de) nicht entgehen lassen, da man so die gesamte Reihe zu erheblich besseren Konditionen als im regulären Buchhandel beziehen kann. Aber auch so ist der Preis angesichts der edlen Gestaltung gerechtfertigt. Wie eingangs gesagt: die Neuauflage der "Bibliothek von Babel" ist ein gelungener Coup, der zur rechten Zeit kommt.