Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Brutalität | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Nachdem ein rätselhafter Notruf eingegangen ist, fahren Polizisten zum Haus der Marquettes in Miami. Im Inneren erwartet sie ein Blutbad - eine ganze Familie wurde grausam ausgelöscht, nicht einmal das nur wenige Wochen alte Baby wurde verschont. Einzig der Vater überlebt schwer verletzt und steht bald darauf als mutmaßlicher Täter im Visier der Ermittler. Doch kann es wirklich sein, dass der angesehene Chirurg und treusorgende Familienvater Dr. David Marquette seine schöne Frau und seine drei kleinen Kinder kaltblütig niedermetzelt hat?
Überraschend wird die junge Staatsanwältin Julia Valenciano zweite Anwältin in dem medienwirksamen Fall - eine unglaubliche Chance für sie, denn bislang hat sie sich eher mit undankbaren Fällen von Kleinkriminellen herumgeplagt. Ihr Vorgesetzter Rick Bellido, mit dem sie gerade eine Affäre hat, möchte aus politischen Gründen auf jeden Fall die Todesstrafe für den Verdächtigen durchsetzen.
Julia selbst weiß bald nicht mehr, was sie glauben soll - ist Dr. Marquette das Monster, das er zu sein scheint, Opfer einer Geisteskrankheit, oder gar unschuldig? Es macht den Fall für Julia nicht gerade leichter, dass in ihrer eigenen Vergangenheit dunkle Erinnerungen schlummern, an denen der aktuelle Fall nun rührt. Doch um die Wahrheit zu finden, muss sie sich ihren Ängsten stellen
Bereits in den beiden Romanen "Cupido" und "Morpheus" beeindruckte die Autorin Jilliane Hoffman durch brutale Szenen - oder stieß den Leser damit ab, je nachdem.
"Vater unser" beginnt auch mit einem Kracher, mit beklemmenden Szenen, in denen der Leser zwar nicht Zeuge der Bluttat selbst wird, jedoch den Schauplatz mit all seinen grauenerregenden Details kennenlernt. Dennoch wirkt die Brutalität nicht zu überzogen, andere aktuelle Thriller sind da viel blutrünstiger (wobei Mord an Kleinkindern natürlich immer schockierend ist). Nach diesem hoch spannenden Auftakt lässt das Tempo nach, zieht sich das Buch leider stellenweise etwas dahin - durchgehend interessant ist es eigentlich nur für Fans von typischen US-amerikanischen Gerichtsthrillern. Erst auf den letzten einhundert Seiten wird das Tempo dann noch mal angezogen. Ein Problem dieses Romans ist, dass der Spannungshöhepunkt schon am Anfang "verschenkt" wurde, Thrillerfans erwarten da sicher weitaus mehr. "Vater unser" ist übrigens keine Fortsetzung von "Cupido" und "Morpheus"; zwar wird die Staatsanwältin C. J. Townsend erwähnt, aber nur am Rande. Ob man eine weitere psychisch angeschlagene Protagonistin aus der Feder der Autorin vertragen kann, muss der Leser selbst entscheiden. Das Grundthema, das Hoffman gerne benutzt, wurde hier jedenfalls in einer Abwandlung erneut aufgewärmt.
Vieles kennt man als Leser bereits - den eigentlich inkompetenten, mürrischen Richter, der der netten jungen Staatsanwältin an den Karren fahren will, den gut aussehenden, ehrgeizigen Chefermittler, der den Fall leitet und ihn als Karrieresprungbrett ansieht, und natürlich die junge Staatsanwältin selbst, die unversehens in einen Strudel aus Interessen gerät, tapfer nach der Wahrheit sucht und sich auch noch ihrer furchtbaren Vergangenheit stellen muss.
Insgesamt hinterlässt das Buch ein zwiespältiges Gefühl. Sehr geschickt spielt Jilliane Hoffman mit dem Leser, indem sie ihn sehr lange im Unklaren lässt, wer der Schuldige ist und wer welche Interessen verfolgt. Das Ende lässt einige Fragen offen und gibt Andeutungen auf eine mögliche Fortsetzung.
Man kann das Buch nicht wirklich zur Seite legen, selbst wenn es streckenweise ziemlich langatmig wird. Allerdings erwischt man sich durchaus dabei, dass man einige Stellen nur noch überfliegt, damit es endlich weitergeht. Handwerklich und sprachlich ist an dem Thriller nichts auszusetzen, und die Recherche wirkt sehr sorgfältig - kein Wunder, denn die Autorin war jahrelang Staatsanwältin in Florida, kennt sich also mit der Materie und dem Procedere vor Gericht aus erster Hand aus.
Ein wirklich nervenzerreißender oder innovativer Thriller ist "Vater unser" nicht, eher ein Roman für Fans der Autorin und für Leser, die sich auch für juristische Belange und Abläufe interessieren. Spannende Wendungen sind rar, aber geschickt über die immerhin 576 Seiten gestreut, um den Leser bei der Stange zu halten. Ein paar Seiten weniger hätten dem Plot aber sicher gut getan.